: Da erscheint plötzlich diese Frau...
Der Fall Taslima Nasrin konfrontiert das Establishment in Bangladesch schmerzhaft mit der alltäglich gelebten Doppelmoral – aber auch von liberalen Frauen erfährt die Autorin Kritik ■ Aus Dhaka Bernard Imhasly
Für eine Stadt, die kurz die flüchtige Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit genießt, nimmt Dhaka es gelassen: Die indischen Zeitungen hatten auf der ersten Seite berichtet, Bangladeschs Hauptstadt sei voller Gerüchte über Taslima Nasrins Flucht ins Ausland. Doch die hiesige Tageszeitung The New Nation erwähnt die umstrittene Schriftstellerin mit keinem Wort, und auch andere Hauptstadtblätter berichten lediglich von kleinen Demonstrationen islamistischer Parteien und Vorbereitungen für den geplanten „langen Marsch“ der Fundamentalisten auf das Parlament am 29. Juli, als Protest „gegen Atheisten und Gotteslästerer“.
„Bangladesch hat größere Probleme als die privaten Äußerungen einer zweitklassigen Schriftstellerin“, hatte der Botschafter des Landes in Delhi abschließend geurteilt. In der Tat: Die Freundschaft mit Ägypten ist der Bangladesh Times eine Schlagzeile wert; auch daß ein Journalist einem Autounfall zum Opfer fiel, gehört auf die erste Seite. Und im Sportteil lautet der Aufmacher: „Beckenbauer unterstützt Matthäus im Kampf gegen Vogts“.
Die Gelassenheit hat System, das Spiel auf mehreren Realitätsebenen ist gut eingeübt. Man ist schließlich in Asien. Das gilt auch für das Untertauchen der Schriftstellerin. Journalistenkollegen sind jedenfalls der einhelligen Meinung, die Regierung wisse, wo sich Taslima Nasrin aufhält. Der Haftbefehl vom 4. Juni, der sie in ihr Versteck getrieben hat, solle lediglich den mißtrauischen Mullahs zeigen, daß Premierministerin Begum Khaleda Zia eine gute Muslima ist. Aber die Regierungschefin hat, so geht die Vermutung, gar kein Interesse, die Schriftstellerin in einem Schauprozeß den Fundamentalisten auszuliefern, die damit nur ihre politische Anhängerschaft vergrößern würden. Sie hofft also, daß Taslima Nasrin sich nach einiger Zeit selber ins Ausland absetzt.
Erst das Besuchsangebot der EU hat die Regierung in eine verzwickte Lage gebracht: Es ist eine Sache, den immer noch marginalen Islamisten die Stirn zu bieten. Und die Europäische Union ist für die Ökonomie des Landes überlebenswichtig. Doch dies offen anzuerkennen wäre noch schlimmer – ein Gesichtsverlust.
Denn man ist nicht nur in Asien, man ist in Bangladesch, einem Land, das wie wenige andere mit dem Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit zu leben hat. Sein kulturelles Selbstbewußtsein hatte den Kampf gegen den englischen Kolonialherrn, dann die Hegemonie Westpakistans überstehen helfen. Aber nach bald einem Vierteljahrhundert Unabhängigkeit steckt das Land jetzt tief in der schmerzenden und einträglichen Abhängigkeit vom reichen Ausland.
Dhakas Hauptindustrie besteht denn auch in der Nutzung des Gefälles von reichem Ausland und armem Inland. Zahllose Organisationen siedeln hier im Schatten der großen Entwicklungsmultis Weltbank, UNDP, Unicef; es gibt ein eigenes „Ministerium für Entwicklungsorganisationen“, und Tausende von in- und ausländischen Experten beziehen hier Honorare, die bis zu tausend Dollars pro Tag betragen können. Vom Kampf gegen die Armut lebt es sich gut.
Doch der Widerspruch muß täglich gelebt werden, der Graben zwischen trotzig behaupteter Unabhängigkeit und materieller Abhängigkeit bleibt nur notdürftig zugeschüttet. Die Religion kann dabei helfen: man lebt im Gewand einer konservativ-mittelalterlichen Weltanschauung und ergibt sich daneben den Verlockungen einer postmodernen Fernsehwelt. Und da platzt plötzlich eine junge Frau herein, die den Schleier herunterreißt und dem Land den Spiegel vors Gesicht hält: Euer Islam ist mehr als nur ein Feigenblatt, er ist eine Unterdrückungsmaschine – gegen die Frauen, gegen die religiösen Minderheiten, gegen die Armen.
Der Schreib- und Lebensstil der Ärztin und Schriftstellerin Taslima Nasrin ist gleichermaßen kompromißlos – Prosa und Lyrik sind aggressiv und schneidend, in der BBC tritt sie mit Jeans und Zigarette auf, während sie im Koran blättert. Die Lösung der männlichen Vier-Frauen-Ehe? Die Vier- Männer-Ehe! Selbst das aufgeklärte Establishment Dhakas ist in seiner religiösen und gesellschaftlichen Doppelmoral herausgefordert. „Soll sie doch mit so vielen Männern schlafen, wie sie will“, sagt einer der unzähligen Entwicklungsexperten in Dhaka. „Andere Frauen tun es auch, von Männern ganz zu schweigen. Aber sie soll nicht davon reden, sie soll nicht darüber schreiben. Das macht ihre Bücher zu Pornographie. Genau dasselbe mit der Religion. Du kannst an den Islam glauben, oder du glaubst nicht daran – das geht in Ordnung. Aber laß es dabei bleiben. Warum mußt du die Gläubigen angreifen, deren Grundsätze in Frage stellen?“
„Sie macht es uns nicht leicht, für sie einzustehen“, meint Meghna Guhathakurtha, eine Freundin Nasrins. Die Lektorin an der Universität Dhaka ist eine der wenigen Personen, die Nasrins knappen, aggressiven Stil als ein echtes Novum in der bengalischen Literatur verteidigt und in ihrem Roman Lajja (Schande) zumindest eine zeitgeschichtliche Qualität sieht. Aber sie gesteht, daß die Frau die Provokation beinahe sucht: Viele Frauen etwa schockierte Taslima Nasrin mit dem Hinweis auf die Legitimität der Vergewaltigung des Mannes als Korrektiv für die Vergewaltigung von Frauen.
Bei politisch aktiven Frauen ist der Zwiespalt noch größer. Ayesha Khanam, Generalsekretärin einer Organisation, die Frauen Rechtsbeistand gibt, ist zwar auch auf die Straße gegangen, als die Mullahs ihre Fatwa gegen die 32jährige Autorin ausriefen. Aber sie spricht Taslima Nasrin das Recht ab, für die Frauen Bangladeschs zu sprechen: Die Probleme, die sie anspricht – darf eine Frau mehrere Männer haben, darf Partnerwahl frei sein –, seien Probleme einer winzigen Zahl von Oberschichtsfrauen. 99 Prozent der Frauen Bangladeschs, meint sie, haben ein anderes Problem: Überleben.
Ayesha Khanam streitet dennoch nicht ab, daß der Fundamentalismus in Bangladesch eine Gefahr ist. „In den letzten Jahren haben Dorfmullahs allein gegen Frauen über 200 Fatwas erlassen.“ Und sie erzählt die Geschichte von Nurjehan, der kurz nach der Heirat der Mann davonlief: Nach zwei Jahren ließ sich das Mädchen offiziell scheiden und heiratete wieder. Aber der Mullah eines anderen Dorfes, der sie gern selber geheiratet hätte, sprach eine Fatwa gegen sie aus: sie sei eine Ehebrecherin, da die erste Ehe nicht rechtmäßig geschieden sei. Und er brachte die Männer im Dorf dazu, sie zu steinigen. Kurz darauf starb Nurjehan, es ist unklar, ob an den Folgen der Wunden oder eines chemischen Düngemittels, das sie vor Scham einnahm.
Khanams Organisation brachte den Mullah vor Gericht; letztes Jahr wurde er zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. „Solche Fälle gibt es täglich – doch darüber schreibt niemand. Aber wenn Taslima ihre Statements macht und die Mullahs sich gierig darauf stürzen, erhebt sich bei euch ein Entrüstungssturm,“ sagt Ayesha Khanam. „Sie handelt verantwortungslos, da sie wirklich die Gefühle vieler Menschen verletzt, die fromm, aber nicht fundamentalistisch sind.“
Im dichtbevölkerten Banglabazar unten am Buriganga-Fluß scheinen Taslima Nasrin und das Dhaka der Oberschicht mit seiner doppelten Realität und Moral weit weg zu sein. Die Armut läßt die Unterscheidung zwischen beiden Ebenen rasch einbrechen. Hier ist das beherrschene Thema des Alltags nur das Überleben. Jede Tätigkeit wird gleich hundertfach ausgeübt, so beschränkt ist der Konsumbedarf, so groß ist das Heer von Anbietern. In einer Straße verkaufen über hundert Läden die gleichen Handpumpen; auf einer Strecke von 50 Metern finden sich mehr als sechzig Schuhverkäufer.
Unter den mehrstöckigen Flußfähren am Buriganga drängen sich langgezogene Ruderboote wie Krokodile, und jeder Kunde wird gleich zwanzigfach herbeigeschrien und -gewunken. Und über zweihundert Rikschas verkeilen sich vor der Anlegestelle. Den Rikschafahrern bleibt nichts anderes, als die Kitschbilder anzuschauen, die der jeweilige Vordermann auf sein Gefährt gemalt hat: eine Landschaft mit See, Hügel, einem Haus darauf – das Ganze menschenleer, der Wunschtraum des armen Bengali. Über dem Wirrwarr von Geräuschen plärrt ein Lautsprecher. Jedes zweite Wort ist als „Allah“ verstehbar. Eine der extremen Muslim-Gruppen wirbt hier um die Teilnahme am „Langen Marsch“ vom morgigen Freitag, dessen Zielscheibe unter anderen Taslima Nasrin sein wird.
Die Auseinandersetzung um die Schriftstellerin reicht also doch bis ins Armenviertel. Vielleicht ist das die größte Trumpfkarte der Fundamentalisten: Wo das tägliche Überleben zum Zufall wird, ist Allah der letzte sichere Wert. Wenn Leute wie Taslima Nasrin auch ihn – und alles, was er an Hoffnung verkörpert – in Frage stellen, was bleibt dann noch?
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