Sanssouci: Vorschlag
■ Urschrei des Rock'n'Roll: Screamin' Jay Hawkins im Lucky Strike
„Mein erstes Idol war Paul Robeson. In der Oberschule hörte ich erstmals Opern, und Opern wollte ich singen. Aber als armer Schwarzer wollte ich natürlich auch schnell Geld verdienen, und Opern sind nun mal nicht oft in den Charts.“ Jay Hawkins als Figaro – bei dem Gedanken gruselt's einen. – „Ich schaute mir all die populären Sänger an, weiße wie schwarze, aber die kamen alle nur artig ans Mikrophon, verbeugten sich und sangen ihre Lieder. Ich wollte mehr machen.“ Als I Put A Spell On You ein Hit wurde, machte Alan Freed aus dem Schreihals Jay Hawkins einen Voodoo-Mann, den Mann mit den tausend Gesichtern. Die Illustrierte Ebony bildete unter dem Titel „Clown-Prinz des Rock'n'Roll hat Hitplatte mit unheimlichem Grunzen, Gestöhne und Gekreisch“ über mehrere Seiten seine Grimassen ab.
Der Ex-Boxer, der bei Tiny Grimes als Gastsänger und Chauffeur anfing, wurde in den fünfziger Jahren verhaftet, als er sich im Leichenwagen – er trank Whisky im offenen Sarg liegend – durch Philadelphia fahren ließ. „Alan Freed ließ mich eine Show abziehen, die ungewöhnlich bis abnormal war – ich meine, ich fürchtete mich vor mir selbst! Mehrmals stand ich in Flammen, als meine Feuerwerkskörper zu früh losgingen.“ Heute kann Hawkins, 65, mit seinen Utensilien natürlich niemanden mehr erschrecken. So wie es Leute gibt, die sich immer wieder die Blues Brothers, Al Bundy oder Casablanca ansehen, hat auch Screamin' Jay Hawkins seine treue Gemeinde – obwohl ihm schon lange keine neuen Gags mehr eingefallen sind. Auch am Piano ist er kein Virtuose. Aber wen kümmert's, schließlich ist da noch diese mächtige Baritonstimme, mit der er alte Rock'n'Roll- Nummern und Balladen zu einem neuen Hörerlebnis macht. Und seine skurrilen Texte in „Little Demon“, „There's Something Wrong With You“ „Frenzy“, „Constipation Blues“ oder „Alligator Wine“ lohnen immer wieder: „Nimm das Blut eines Alligators, das linke Auge eines Fischs, nimm die Haut eines Frosches und mische alles zusammen, nimm eine Tasse Sumpfwasser und zähle von eins bis neun, schütte es über deine linke Schulter und du hast Alligator-Wein.“ Norbert Hess
Morgen bis 2. 8., 20 Uhr, Lucky Strike Originals, Georgenstraße 177-180 (In den S-Bahnbögen), Mitte.
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