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Rassisten, Biertrinker, Kiffer, Utopisten

Erträglich in diesen heißen Sommertagen in Berlin ist es nur im Prinzenbad / Die täglich 35.000 Besucher sind ein buntes Spiegelbild der schönen und kaputten Stadt / Am meisten Spaß macht's am Beckenrand: Beine baumeln lassen und zugucken  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Der Sommer macht gaga. Der Zusammenhang geht verloren. Vieles ist seltsam. Gestern kam mir ein junger Schwarzer entgegen. Der trug ein T-Shirt, auf dem stand: „Ich bin ein Ausländer.“ Somnambul schleppen sich die Menschen durch die Straßen. Radfahrer werden morgens schon von Bullen in kleinen Gruppen angehalten, weil ihre Reifen kurz den Gehweg berührten.

„Die Hitze macht böse“, titelt die eine Boulevard-Zeitung. „Bis zu 38° am Tag, nachts kaum Abkühlung – und seit vielen Tagen kaum Schlaf. Jetzt drehen die ersten Menschen durch“, freut sich eine andere. „Ein Mercedesfahrer erschoß sich bei Tempo 140 hinterm Steuer. Ein Rechtsanwalt überfiel seinen Nachbarn mit der Axt, zertrümmerte ihm sein Verstärkerkabel. Ein Autofahrer parkte auf der Autobahn, setzte sich an den Autoreifen – und weinte hemmungslos.“

Erträglich ist es eigentlich nur im Prinzenbad. Das Prinzenbad ist große Klasse und wird immer besser. Gegen acht Uhr morgens schon hüpfen die Disziplinierteren unter den „lieben Badegästen“ ins Wasser und schwimmen ihr selbstauferlegtes Pensum. Meist sind es exakt 20 Bahnen. Andere, die Schwierigkeiten beim Zählen haben, schauen auf die Uhr und verlassen nach zwanzig Minuten das Wasser. Fikrid, ein türkischer Casanova, der, wenn er nicht gerade im Schwimmbad ist, tagtäglich die wohl weißesten T-Shirts auf seinem muskulösen Oberkörper spazierenträgt, lernt schwimmen. Das stimmt seine zuguckenden Freunde recht heiter.

Kaffeetrinkend schaut man erwartungsvoll in den Tag

Nach dem Schwimmen geht man frühstücken und schaut kaffeetrinkend erwartungsvoll in den Tag. Alles ist schön: Bäume, Sträucher, die rotbraunen Steine am Boden. Auf den weißen Tischen auf der Terrasse dämmern Kalanchoes vor sich hin. Im Wasser glitzert die Sonne. Zwei kleine Jungs gehen vorbei. Einer hat dem anderen seinen Arm freundlich um die Schulter gelegt. „Die kleine Birgit hat ihre Mutti verloren und soll zum Bademeisterstand kommen.“ Am Nebentisch erzählt man sich begeistert von bösen Platzwunden, die vorhin jemand davongetragen haben soll, nachdem er ins zu flache Wasser gesprungen war. Auch von „blutüberströmten“ resp. „leichenbleichen Gesichtern“ und diversen „Frakturen“ ist die Rede.

35.000 würden hier schon tagtäglich kommen, schätzt eine Frau am Imbiß. „Oder die Hälfte.“ Für zehntausend Menschen jedenfalls ist das Prinzenbad gebaut. Am Imbiß steht ein selbstgemaltes Schild: „Die Belästigung durch bettelnde Kinder nimmt ständig zu. Bitte unterstützen Sie uns bei unseren Bemühungen um Ihre Ruhe, indem Sie Ihre Flaschen und Tassen selbst abgeben.“ „Bettelnde Kinder“ ist dreimal, „selbst“ doppelt unterstrichen.

Die kleinen fleißigen Flaschensammler schnattern lustig in fremden Sprachen durcheinander. Das stört Deutsche, die lieber ihre Pfandflaschen kaputtschmeißen würden, anstatt sie den Kindern zu überlassen. Wer's dennoch tut, wird mit bösen Blicken bedacht.

Am meisten Spaß macht es, am Beckenrand die Beine ins Wasser zu halten und den Leuten beim Ins-Wasser-Gehen zuzuschauen. Da gibt es die, die im Bewußtsein davon, daß sie bebachtet werden, schnell hineingehen: Männer vor allem bevorzugen einen häufig in einem Bauchklatscher endenden Kopfsprung, sportliche Frauen gleiten über die Leitern am Beckenrand ins Wasser.

Wasserscheue brauchen eine halbe Stunde

Wasserscheue, die auch noch bei 40 Grad eine halbe Stunde brauchen, um ins Wasser zu kommen, sind beschämt, wenn sie sich beobachtet fühlen, und wechseln den angepeilten Ort des Einstiegs oder tun plötzlich so, als wollten sie eigentlich nur ein bißchen spazierengehen.

Dicke Kinder und Jugendliche machen Arschbomben und halten sich dabei die Nase zu.

Ab 14 Uhr kommen vermehrt Ätzi, Fetzi und all die anderen Jugendlichen in Gruppen vorbei. Die Jungs setzen sich meist zu den Jungs und kloppen sich zuweilen ein bißchen, um anzugeben. Die Mädchen sitzen bei den Mädchen und gucken durch die Gegend. Viele haben Radlerhosen über oder auch unter dem Badeanzug an. Gern springen sie von den Längsseiten ins Wasser, um sich selbst zu erfreuen und die Bademeister zu ärgern. Alle paar Minuten ruft einer von denen mal mehr, mal weniger wütend durchs Megaphon, um die Teenies zu mahnen: „Wir haben so viele Unfälle. Laßt deshalb bitte das Reinspringen und Reinschubsen von den Längsseiten.“ Die Jugendlichen schert das selten.

Auch Anne, ein vielleicht achtjähriges Mädchen, springt immer vom Rand, schwimmt zwei Züge, klettert behende wieder raus, schaut sich um, ob der Bademeister auch nicht guckt, und springt dann wieder rein, beobachtet vom bewundernden Blick ihrer Freundin. „Ich übe Köpper. Für meinen Vater.“ Warum sie nicht von den Startblöcken springen würde? – „Das geht nicht so gut. Da knall' ich immer mit dem Kopf gegen den Boden.“

Zwischen den Nackten sind die Abstände größer

Im Prinzenbad trifft man alle: Große, Kleine, Dicke, Dünne, Gruppen türkischer Männer, Jugendbanden, Rassisten, Utopisten, Biertrinker, Kiffer, Bodybuildinggestählte, sichtlich Unsportliche. Eine schöne Vielfalt der unterschiedlichsten Körperformen, in tausenderlei verschiedenen Farbtönen wankt hitzetrunken vorbei: hähnchenbraun, ledern, bleich, schwarz, sonnenbrandrot oder auch gefleckt. Ab und an blicken einen zwei verschwitzte Augen an. Dann schaut man auf den eignen Körper oder freundlich zurück oder nicht.

Die Nacktbadewiese, die von den Orten der Halbnackten durch eine breite imaginäre Grenze aus meditierenden Männern, Halbnackten und einigen Voyeuren geschieden ist, befindet sich ganz am Ende des Freibads. Zwischen den Nackten sind die Entferungen größer als zwischen den anderen. Sie bewegen sich so wie Angezogene, findet die Berliner Soziologin Gerburg Treusch-Dieter, „und drücken damit eigentlich genau die Befangenheit aus, die geleugnet wird. Das ist sehr interessant als Zeichen oder Indiz dafür, daß diese Nacktbadewiesen nach der Gleichung funktionieren: alle sind bekleidet = nackt oder umgekehrt. Es herrscht da ja auch eine ganz merkwürdige Anonymität der einzelnen Grüppchen. Also man spricht ja kaum miteinander.“

Laut hallt es übers Gelände, man solle das Fußballspielen unterlassen und „Roger le petit“ sei verlorengegangen. Daß er den komplizierten Namen so gut ausgesprochen hat, freut Herrn Kraatz, der hähnchenbraun neben einem verwegen aussehenden Bademeisterkollegen unter einem Sonnenschirm am Beckenrand sitzt. Der energische Mann kann auf einundzwanzig Jahre Prinzenbad zurückblicken. Früher sei alles besser gewesen, sagt er. Jetzt herrsche das Chaos. Hier ginge es ja noch. Im Wedding zum Beispiel würden die mittlerweile schon mit Kampfhunden ihren Dienst machen.

Der Bademeister hat nichts Schönes erlebt

Herr Kraatz, der in dieser Saison noch nichts Schönes erlebt hat, ist ein bißchen enttäuscht über die anderen Zeitungen (BZ und Morgenpost), die mit ihm gesprochen hätten. Daß es vor allem „Ärger mit Ausländern“ gäbe, daß es vor allem „ausländische Jugendliche“ seien, die „klauen“ und „Frauen sexuell belästigen“, daß „die ganzen aus Bosnien ihre Kinder zum Betteln hierherschicken“, hatten die nicht abdrucken wollen.

Vormittags sei es noch schön ruhig. „Ab zwei geht das dann los.“ Dann kämen die ganzen „Schwarzköpfe“, die klauen, sich kloppen, von den Längsseiten ins Becken springen würden und ihn auch gerne beleidigten. „Man traut sich gar nichts mehr zu sagen. Da wird man gleich als Nazi beschimpft“ oder „in die rechte Ecke gedrängt“.

Mit immer seltsameren Beispielen versucht er seine Abneigung gegen „Ausländer“ zu rationalisieren. Auf der Nacktbadewiese hätte neulich zum Beispiel eine Gruppe onanierender „Ausländer“ zwei nackte Mädchen belästigt. „Ein Deutscher war auch dabei. Der hatte sich aber im Busch versteckt.“ Mit einem nachdenklichen „Ich glaube, der Mensch ist nicht für die Demokratie geeignet“ verabschiedet mich der Bademeister. Nicht nur die Hitze macht wütend.

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