: Grenzenloser Erneuerungswille
Gemeinschaftsordnung en miniature: Eine unprätentiöse, mit frühen Entwürfen arbeitende Ausstellung zu Expressionismus und Neuer Sachlichkeit im Frankfurter Architektur-Museum ■ Von Klaus Englert
„Erschaffen wir gemeinsam den Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“ Dies war nicht nur das Credo des Weimarer Bauhauses. Es war auch die große Vision der Architektur-Avantgarde zu Beginn unseres Jahrhunderts, eine soziale Utopie, in der die Gegensätze der kapitalistischen Welt aufgehoben schienen.
Unter dem Titel „Expressionismus und Neue Sachlichkeit“ erinnert das Frankfurter Architektur- Museum an eine Epoche des geistigen, künstlerischen und sozialen Umbruchs, die sicherlich die produktivste in unserem Jahrhundert gewesen ist. Die Ausstellung konzentriert sich zwar vornehmlich auf die architektonischen Entwürfe und Umsetzungen aus den zwanziger Jahren, ohne sich sehr im Gestus der Selbstinszenierung zu gefallen. Vielmehr wird an den ausgestellten Blättern ein Erneuerungswille, der weit über die ästhetischen Grenzen hinausreicht, sichtbar.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der Niederlage im Ersten Weltkrieg fühlten sich gerade die Baukünstler dazu berufen, in der „dogmalosen Zeit der Auflösung“ jenes gemeinsame Werk zu schaffen, das „die kommende Einheit einer späteren Zeit“ (Gropius) vorbereiten sollte. Noch vor der Gründung des Bauhauses – zu einer Zeit, als man Architektur nach dem expressionistischen Alphabet buchstabierte – versuchten Bruno Taut und Gropius durch Gründung des „Arbeitsrates für Kunst“ an jenem Bündnisgedanken anzuknüpfen, der, in Anlehnung an die mittelalterlichen Bauhütten, dazu berufen sein sollte, die Aufsplitterung der einst zusammengehörigen Arbeits- und Lebensformen von Gilden und Zünften zu überwinden. Und zwar in Vorwegnahme einer zukünftigen Gemeinschaft.
Die Ausstellung bietet für jene Architektur der kollektiven Werte eine Reihe von Beispielen: Da wäre etwa Tauts Gemeinschaftsordnung en miniature, die er außerhalb des „Mietskasernen- Elends in Groß-Berlin“ bereits vor dem Ersten Weltkrieg im ländlichen Falkenberg baute. Angeregt durch die Ideen Kropotkins und Landauers sollten in dieser ersten deutschen Gartenstadt kooperative Arbeits- und Lebensformen an die Stelle egoistischen und profitorientierten Denkens treten. Dieses Modell hatte Taut Mitte der zwanziger Jahre zusammen mit Martin Wagner für die Berliner Hufeisensiedlung Britz weiterentwickelt. Ein anderes Beispiel für die Siedlung als homogenem Mikrokosmos innerhalb der zerklüfteten Stadtlandschaften bilden Ernst Mays zur gleichen Zeit entstandene Siedlungsprojekte für Frankfurt. Im Zentrum dieser Anlagen sollte ein „Volkshaus“ Raum für gemeinsame Tätigkeiten bieten.
Als diese Projekte realisiert wurden, galten die alten ästhetischen Ideale längst als überholt: Das Heil der Baukunst sah man nicht mehr in Kristall- und Glasbauten und auch nicht mehr in der Angleichung von architektonischen und natürlichen Formen. Und doch maß man weiterhin dem Baukünstler und seinem Werk einen herausragenden Stellenwert bei. In einer harmonischen Gemeinschaft sollte nämlich der „bauliche Organismus“ (Taut) dem sozialen Organismus angepaßt sein. Die legendäre Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die 1927 unter Federführung des damals noch relativ unbekannten Mies van der Rohe die gesamte internationale Architektenprominenz anlockte, stand für diese Herausforderung, der sich die Architektur stellte. In diesem Pilotprojekt wurde nicht nur der funktionelle Stil des Bauhauses umgesetzt, auch die gläserne Architektur und die zuvor von den Expressionisten erhobene Forderung nach farbiger Gestaltung der Wohnungen und Häuser fand wieder Beachtung. Die Reaktionen blieben selbstverständlich nicht aus. Der „Heimatkunst“-Architekt Paul Schmitthenner schrieb 1934 in Anbiederung an die Nazis, daß sich in der Weißenhofsiedlung nicht nur gute von schlechter Architektur, sondern vor allem „volksgebundene“ von „volksfremder Weltanschauung“ geschieden hätten.
Eine der Losungen der Weißenhof-Architekten war: „Schön ist das Haus, das unserem Lebensgefühl entspricht.“ Zum Maßstab wurde die Befreiung vom Eingesperrtsein, die Leichtigkeit und Beweglichkeit des Körpers, gleichgültig ob es sich um den menschlichen oder architektonischen Körper handelte. Wie das Neue Bauen radikal gegen den überflüssigen Pomp der Gründerzeit vorgeht, wird von Behne drastisch veranschaulicht: Man nehme eine Grunewald-Villa aus dem 19. Jahrhundert, schneide alle überflüssige Ornament-Substanz ab, und man erhält zum Schluß einen kastenförmigen Rohbau. Da dieser Zustand zwar schon „entschieden besser, aber doch noch nicht gut genug“ ist, orientiere man sich an einem Gebäude von Walter Gropius, und man wird sofort sehen, was aus einer kubisch-nackten Architektur zu machen ist. Behne wiederholt hier mit seiner Gegenüberstellung eine Aufforderung, die Adolf Loos bereits 1908 gegenüber den Wiener Sezessionisten geäußert hatte: alles Ornament sei unnützer Zierat, ja sogar „Verbrechen“.
Die Ausstellung stellt deutlich die Übergänge zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit heraus – etwa an Mies van der Rohes zukunftsweisendem Glas- Hochhaus für die Berliner Friedrichstraße –, doch sie unterschlägt, daß die faschistische Architektur durchaus ihre Vorläufer in der radikal-konservativen „Heimatkunst“-Bewegung hatte. In einer Bewegung, deren Anhänger teilweise auch Mitglieder des sozialistischen „Arbeitsrates für Kunst“ waren. Organische Einfügung der Architektur in autark organisierte urbane Strukturen, heimatorientiert-völkische Architektur, romantische Siedlungspolitik, Baukünstler als Gestalter des Volksempfindens – dies alles sind Forderungen, die so etwas wie den gemeinsamen Nenner der „linken“ und „rechten“ Architekten bildeten. Selbst die Formulierung von Hitlers Chefideologin in Baufragen, Gerdy Troost, Architektur solle von der Gemeinschaft ausgehen, um wieder Gemeinschaft zu gestalten, hätten auch in früherer Zeit Taut und Gropius unterschrieben. Statt sich auf den Stilwandel von Expressionismus zu Neuer Sachlichkeit zu kaprizieren, hätte man in der Ausstellung verdeutlichen können, das Poelzigs für Max Reinhard gebautes „Theater der Fünftausend“ (Berlin 1918) mit seiner beeindruckenden Archaik und Monumentalität, mit seiner Aufhebung der Trennung von Bühne und Zuschauerraum, mit seinen Farb- und Lichteffekten die Tradition des „Kultusbaus“ wiederbelebte, worin die Gefühle und Empfindungen der Menschen gesteigert und gelenkt werden sollten.
„Expressionismus und Neue Sachlichkeit“. Bis zum 7. August im Architektur-Museum Frankfurt/M. Der materialreiche Katalog kostet an der Museumskasse 65 DM.
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