: „Streßfrei wie in den USA“
Vor allem pragmatische Vielfahrer begrüßen das erste Tempolimit in Hessen / Freizeitsüchtige Montainbiker ignorieren das Ozon im Wald ■ Von der A 66 Heide Platen
Über die generelle Gemütlichkeit von Autobahnraststätten läßt sich streiten. Es stinkt hier nach Pommes und Benzin wie anderswo an diesen unfreundlichen Orten auch. An der Ausfahrt blinzelt eine Krähe auf den platten, mausetoten Igel am Straßenrand herunter. Aber Frankfurts Umweltdezernent und Stadtkämmerer Tom Koenigs mag sie, die Hütte an der A 66 bei Hattersheim in Richtung Frankfurt/Wiesbaden, die eigentlich nur ein großer Kiosk ist. Aber auch anderen unverbesserlich Automobil fahrenden Menschen gilt sie als Geheimtip. „Hier gibt es“, sagt Lkw-Fahrer Heini aus Bad Bochum an der Ruhr, „immer ordentlich was auf die Gabel.“ Eine andere Spezialität Hessens schätzt er weniger. Geschwindigkeitsbegrenzungen wegen Ozonalarm hält er für „großen Tinnef“. Heini hegt nämlich schon lange einen Groll auf die Langsamfahrer, „Trabis, Omas und so Kroppzeug. Denen soll man doch gleich den Führerschein wegnehmen.“ Und wendet sich unerschrocken der fettigen Angelegenheit auf seinem randvollen Teller zu.
Das sehen andere Berufsfahrer ganz anders. Peter S. ist Techniker, Amateurfunker und ganz bestimmt kein Maschinenstürmer. Sein Lieblingsreiseland sind die USA. Und er ist auch hierzulande viel unterwegs: „Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen. Ich war heute schon wieder in drei Bundesländern.“ Er erinnert sich fast schon mit Wehmut an die Geschwindigkeitsbegrenzung der letzten Woche. Ganz prima sei das gewesen, als alle auf allen Spuren im gleichen Tempo rollten. Denn schließlich: „In den USA kommt man doch auch mit 50 bis 55 miles ans Ziel.“ Alles andere wäre auf den Highways „nur tierisch Streß“: „Spurwechsel, Bremse, Gas, wieder Spurwechsel. Da wirst du doch wahnsinnig!“
Der Herr auf dem Nachbarparkplatz ist Pendler aus Mainz. Er glaubt nicht, daß der Ozongehalt durch Langsamfahren wesentlich verringert wirde: „Das ist schon deshalb Quatsch, weil das Ozon doch vor den Landesgrenzen nicht halt macht.“ Aber: „Wir leiden alle unter der Hitze. Und schaden kann es ja nix.“ Er hat nämlich „endlich mal nicht im Stau gestanden“ und war sogar „zehn Minuten eher auf der Arbeit“. Er fängt seither an, „die Raser“ nicht mehr ausstehen zu können, hält sich stur an die neue Langsamkeit und ignoriert Lichthupen: „Ich lasse mich nicht mehr so einfach wegblinken.“
Klaus ist Fußballfan aus Hamburg. Er führt „Berti“ aus und beschimpft ihn dabei liebevoll: „Berti, du Flasche, du Versager, heb endlich das Bein!“ Berti, „der Lumpenhund“, bequemt sich in Höhe eines nebenstehenden Weißwandreifens. Ozonalarm in Hessen? Weiß er nix von, hat er auch nix mit am Hut. Er und Berti sind unterwegs zur Schwiegermutter in den Schwarzwald, weil Frauchen sie in dieser Richtung schon während der WM verlassen hat.
Und dann ist da noch dieser Sportive mit dem Dachgepäckträger. Oben auf dem BMW thronen zwei Montainbikes. Er wird seine Freundin abholen. Sie arbeitet, welche Bestätigung aller bösen Vorurteile, in einer Werbeagentur und ist auch „sehr, sehr körperbewußt“. Sie werden zusammen in den den Taunus fahren, sich tatsächlich auf diese Pest der Waldwege schwingen „und richtig im Grünen Natur auftanken“. Daß die Konzentration des ätzenden Sommersmogs auf den Frankfurter Hausbergen auch nicht niedriger ist, als in mancher Großstadt, interessiert ihn nicht so sehr. Er hat die Presseerklärung der Autoindustrie noch im Kopf: „Ozon ist ein natürliches Gift. Auch Fichten geben Ozon ab.“ Gute Fahrt auch!
Christiana B. glaubt nicht, daß Frauen die besseren Menschen sind und dreht „auch gerne mal auf“. Aber sie hat die Autofahrerei „auf das Notwendigste“ eingeschränkt. Und dazu gehören auf dem Land die wöchentliche Fahrt in den Supermarkt wegen der Großpackungen, Windeln und Hundefutter vor allem, dazu gehört auch, die Kinder zur Schule zu bringen und abzuholen, Arztbesuche und Behördengänge in der Kreisstadt: „Alles ohne Auto nicht drin.“ Früher hat sie darüber nicht nachgedacht, dann bekam der älteste Sohn mit drei Jahren eine Allergie, kratzte sich wund: „So etwas hatten früher nie in der Familie.“ Seither wird sie den Verdacht nicht los, „daß das irgendwas mit der Umwelt zu tun hat“. Auf Bundesumweltminister Töpfer ist sie nicht gut zu sprechen zum Thema Ozonalarm: „Typisch Mann. Die wollen immer alles gleich global lösen oder gar nicht. Frauen fangen da eher an, erst mal vor ihrer eigenen Haustür zu kehren.“ Wer mag das schon? Das hessische Verkehrsministerium stellte am zweiten Tag des Tempolimits „eine leicht nachlassende Akzeptanz“ fest. Prompt häuften sich die Unfallmeldungen und Staus seit Montag wieder auf das ganz normale Maß nach oben.
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