■ Deeskalation in Bangladesch?
: Das heilsame Ärgernis Taslima

Taslima Nasrin hat sich den Behörden ihres Landes gestellt. Was immer das persönliche Motiv dafür sein mag, mit ihrem Verlassen des Fluchtorts nimmt sie den Staat beim Wort: bei seinem Versprechen, ihr Schutz zu gewähren und einen fairen Prozeß zu garantieren. Es ist zwar durchaus möglich, daß sie sich mit ihrem Erscheinen vor dem Richter den Weg ins Ausland offenhalten wollte, weil sie im eigenen Land ihres Lebens nicht mehr sicher ist. Aber die Regierung hat in den letzten zwei Monaten immer beteuert, sie strebe nicht einen Hexenprozeß an, sondern verschaffe lediglich den Gesetzen des Landes Nachachtung. Nun ist es an ihr, zu beweisen, daß sie der säkularen Landesverfassung verpflichtet ist.

Taslima Nasrin steht vor einer schwierigen Wahl: Die internationale Solidaritätskampagne würde es ihr leichtmachen, im Ausland Zuflucht zu suchen. Aber es würde durchaus ihrem kämpferischen und kompromißlosen Temperament entsprechen, wenn sie nun das Forum eines Prozesses benutzte, um für ihre Idee einer säkularen Gesellschaft und gegen die Gefahren des Fundamentalismus einzustehen.

Gerade Nasrins Gesinnungsfreunde im Land würden dies begrüßen. Viele werfen ihr vor, daß sie ihre Kampagne gegen die Gefahr des Fundamentalismus in einem Stil geführt hat, der die Gefühle vieler gläubiger, nichtfundamentalistischer Muslime verletzte; damit habe sie den Fundamentalisten die Munition geliefert, die diese so dringend brauchten. Tatsächlich haben extreme muslimische Sekten in Bengalen keine Tradition, und religiöse Parteien wie die Jamaat Islami mit ihrem „transnationalen“ Appell an die Gemeinschaft aller Muslime stehen im schroffen Gegensatz zum bengalischen Nationalismus, der das ideologische Fundament des Landes bildet. Es ist kein Zufall, daß die Hetzkampagne gegen die Schrifststellerin kurz nach dem Schauprozeß gegen den Jamaat-Führer Golam Azam folgte.

Nasrin zwang alle politischen Kräfte, Farbe zu bekennen: Dies gilt nicht nur für die islamistischen Gruppierungen selber, welche dabei auch die Grenzen ihres Appells feststellen mußten – die 25.000 Menschen am letzten Freitag sind für bengalische Verhältnisse nicht mehr als eine kleinere Menschenansammlung. Und diese Reaktionen waren schließlich auch für die städtische Elite heilsam, indem sie nicht nur die Agenda der religiösen Parteien bloßlegte. Es ist schließlich zu hoffen, daß der Fall Taslima Nasrin auch für ihre Anhänger im Westen ein Spiegel ist: ein Test für deren Fähigkeit, auf Signale der religiösen Intoleranz zu reagieren; aber auch eine Lektion, eine komplexe kulturelle Realität nicht immer nur aus der Optik westlicher Ängste zu verstehen. Bernard Imhasly, Dhaka