: Afrikas nächste Kriege sind vorprogrammiert
Was wird aus Afrikas Kriegern, wenn Frieden herrscht und der Abbau der Militärapparate beginnt? Versuche, afrikanische Bürgerkriege politisch zu lösen, sind ohne wirtschaftliche Perspektiven zum Scheitern verurteilt ■ Von Dominic Johnson
Die klassische Umgangsform der Welt mit mörderischen Bürgerkriegen in Afrika ist die Strategie der Eindämmung. Auswärtige Vermittler schalten sich ein und erreichen im Idealfall die Unterzeichnung eines Friedensabkommens. Danach müssen sich die bisherigen Feinde zusammenraufen: Regierungen der Nationalen Einheit, gemeinsame Armeen, vielleicht Wahlen mit UNO-Überwachung – darauf laufen die Vereinbarungen hinaus, die in den letzten drei Jahren in so verschiedenen Ländern wie Ruanda, Mosambik, Mali, Liberia und Angola unterzeichnet wurden und auf die auch die Versuche einer Konfliktlösung in schwebenden Fällen wie Somalia beruhen.
Zentrales Problem ist dabei die Vorstellung, kriegerisches Handeln ließe sich per Federstrich aus der Welt schaffen, als ob die zugrunde liegenden Loyalitäten nicht viel tiefer und dauerhafter wären als die auf dem Papier behandelten Auseinandersetzungen. In den meisten Fällen kommen die Beweggründe der einfachen Kämpfer in Friedensverhandlungen überhaupt nicht vor. Die sehen dann auch wenig Grund, plötzlich wegen einer von oben proklamierten Einigung die Waffen niederzulegen und sich in ein zumeist nur in der Theorie existierendes „ziviles“ Leben zu begeben – eine fälschlich „Wiedereingliederung“ genannte Operation, die aber gerade in Afrika viel mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufbaumaßnahmen erfordern würde, als diese Länder leisten können.
Wie man mit Tausenden von Menschen umgeht, die nichts anderes als den Umgang mit der Waffe gelernt haben – mit dieser Frage beschäftigen sich die gängigen Friedenssicherungskonzepte kaum. Dabei besteht in allen Bürgerkriegsländern Afrikas eine aufgeblähte Militärmaschinerie, deren Abbau ein Kern jeder Friedenslösung sein müßte. In Ruanda wuchs die staatliche Armee nach Ausbruch des Bürgerkrieges 1990 innerhalb von zwei Jahren von 5.000 auf 40.000 Mann an. Äthiopiens Militärdiktator Mengistu Haile Mariam unterhielt vor seinem Sturz 1991 mit 500.000 Soldaten eine der größten stehenden Armeen der Welt. Die afrikanischen Länder, in denen Bürgerkriege endemisch geworden sind – Somalia, Angola, Mosambik, Äthiopien –, geben prozentual zu ihrem Bruttosozialprodukt mehr Geld für Rüstung aus als Israel oder Irak vor dem Golfkrieg.
Manchmal geschieht die Auflösung dieser Apparate spontan. Nach dem Ende des äthiopischen Bürgerkrieges 1991 irrten zeitweise Hunderttausende Soldaten der Armee des geflohenen Mengistu führungslos in den Bergen herum. In Mosambik mit seinem eigentlich erfolgreichen Friedensprozeß verüben Ex-Soldaten beider Seiten Raubüberfälle und Entführungen. „Banditentum“ durch entlassene Regierungs- oder Rebellentruppen ist in vielen Ländern Afrikas wohlbekannt. Dabei fehlt es nicht an Versuchen, Ex-Soldaten zu „zivilisieren“. In Äthiopien hat es sich die Regierung zum Ziel gesetzt, 250.000 ehemaligen Armeeangehörigen eine zivile Perspektive zu bieten; dazu sollen fünf Millionen Bauern, die in der Mengistu-Ära zwangsumgesiedelt wurden, in ihre Heimat zurück. Die deutsche „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ) finanziert mit 8 Millionen Mark ein von 1991 bis 1995 laufendes Projekt zur „Reintegration von Vertriebenen, Ex-Soldaten und OLF- Gefangenen“ – letzteres bezieht sich auf etwa 16.000 Kämpfer der gegen die Regierung kämpfenden „Oromo-Befreiungsfront“, die in Gefangenschaft gerieten und jetzt Alternativen zur Rückkehr in die Guerilla erhalten sollen. Das Projekt gewährt zum Beispiel finanzielle Starthilfen zum Aufbau eines Kleinunternehmens.
Aber solche Projekte laufen der Realität unweigerlich hinterher. Im Tschad finanziert Frankreich seit 1992 mit umgerechnet 30 Millionen Mark die Verkleinerung der Armee von ursprünglich etwa 40.000 auf 25.000 Mann. Staatschef Idriss Déby sagte in einem Interview im vergangenen März, bereits 11.000 „freiwillige“ Pensionierungen seien erfolgt. Die Entlassenen erhalten fünfmal hintereinander eine vierteljährliche Zahlung, die ihnen die Rückkehr ins Heimatdorf und den Start ins Geschäftsleben erleichtern soll. Das läuft allerdings nicht ohne Probleme. Viele Ex-Soldaten müssen erst einmal angehäufte Schulden begleichen oder geben das Geld für eine Hochzeit aus. Viele gehen gar nicht erst in ihre Dörfer zurück – aus Gründen, die der Präfekt von Bongor, Bundul Vikama, gegenüber Jeune Afrique so erläutert: „Die Bauern sehen nicht gerne einstige Buschkämpfer, von denen sie oft jahrelang terrorisiert wurden, ins Dorf zurückkommen. Sie trauen ihnen nicht. Manche waren schließlich aus dem Grund gegangen, daß ihre Gemeinschaften sie ablehnten“. So bleiben viele arbeits- und obdachlos in der Hauptstadt N'Djamena, die mittlerweile als extrem unsicheres Pflaster gilt. Präsident Déby sah im März noch ein anderes Problem: „Ein Risiko“, sagte er, „ist, daß die Demobilisierten die Reihen von Rebellen verstärken könnten.“ Der Fall Tschad macht deutlich: Staaten, die selbst tief in der Wirtschaftskrise stecken, können nicht ohne weiteres mit disziplinlosen Banden umgehen, deren Mitglieder nichts als das Schießen gelernt haben. Es handelt sich, wie der Äthiopier Yussuf Haile 1991 schrieb, um ein internationales Phänomen von „Kräften, die aus verschiedenen Gründen ihre Schulausbildung nicht abschließen konnten..., die im Knabenalter das Elternhaus verließen, statt in der Bildung eher an den Waffen ihren Lebenssinn fanden. Einige gingen zum Militär, um dort als Berufssoldaten ihren Lebensunterhalt zu verdienen; die anderen fanden Unterschlupf in sogenannten Befreiungsbewegungen, oder sie gründeten in vielen Fällen selbst ihre eigenen Kampfgruppen, um eben wie ihre ehemaligen Schulkameraden den Sinn des Lebens als Soldat zu erleben.“
Die Ergebnisse davon sind in Ländern wie Sierra Leone zu beobachten, dessen Regierung aus kaum 30 Jahre alten Soldaten besteht und wo ausufernde Aktivitäten diverser bewaffneter Gruppierungen zum Abzug sämtlicher ausländischer Entwicklungshilfsprojekte geführt haben. Bekannter ist die ähnlich gelagerte Situation in Somalia, wo kürzlich UNO und Hilfsorganisationen aus Belet Huen vertrieben wurden. Gerade in Ländern wie dem Tschad oder Angola, wo eine ganze Generation unter dem Eindruck des Krieges aufgewachsen ist, können „Integrationsmaßnahmen“ für marodierende Kämpfer gar nicht greifen, da es nichts gibt, wohin diese Menschen integriert werden könnten. Solche Maßnahmen haben vielmehr den umgekehrten Effekt: Je weniger waffentaugliche Männer in den staatlichen Strukturen dienen, desto mehr Zulauf erhalten gut zahlende Rebellengruppen, prunksüchtige traditionelle Führer oder nach Wachmannschaften suchende Hilfsorganisationen. In einem als selbstverständlich empfundenen Kriegszustand ist es gerade die Perspektive des Kriegsendes, die das Aufkommen von parallelen politischen Strukturen und somit eine weitere Destabilisierung begünstigt – wie in Somalia oder Angola zu beobachten. Dabei hätten die Menschen in solchen Ländern die Erfahrung, daß Überleben auch ohne Waffen möglich sein könnte, am nötigsten.
Ein Nebenaspekt dieses Problems ist, daß oftmals niemand ein großes Interesse daran hat, eine effektive Integration einstiger Kämpfer ins zivile Leben zu finanzieren – außer den staatlichen Militärführungen selbst, die das Aufkommen bewaffneter Konkurrenz fürchten. Kaum ein afrikanisches Ministerium ist bereit, den Militärs die Aufgabe der Bezahlung von Soldaten oder Ex-Soldaten abzunehmen. Aber Erhöhungen der ohnehin üppigen Verteidigungshaushalte sind außenpolitisch fast nirgends tragbar. Äthiopien hat den Beifall der Geldgeber damit errungen, daß es seinen Verteidigungshaushalt seit 1991 von 50 auf 10 Prozent der Staatsausgaben gesenkt hat. Uganda erhielt dieses Jahr Finanzhilfe, die an die Verkleinerung der Armee gebunden ist. Eine Ausnahme bildet paradoxerweise das neue Südafrika unter Nelson Mandela, das im Haushalt für 1995 den traditionell hohen Verteidigungshaushalt noch erhöht hat – unter anderem mit der Begründung, die bisherige Armee von 70.000 werde mit der Eingliederung einstiger ANC-Kämpfer und Homeland-Soldaten zunächst auf 120.000 wachsen, und eine spätere Ausgliederung dieser Kämpfer koste schließlich auch etwas.
Das Ende eines Bürgerkrieges weckt zunächst einmal die Hoffnung auf eine „Friedensdividende“ – aber der Umgang mit der Tatsache, daß immer mehr Menschen irgendwann einmal in irgendeiner Armee gedient haben, mit Waffen umgehen können und das Töten gelernt haben, kostet letztendlich noch mehr. In Europa setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Wachstumsperiode ein, in der Arbeitsfähigkeit gegenüber Waffentauglichkeit die höhere Wertschätzung genoß. In Afrikas Nachkriegsstaaten ist kein wirtschaftlicher Aufschwung in Sicht, der für perspektivlose Männer den Griff zum Gewehr überflüssig machen könnte. Die Strategie der Eindämmung allein ist noch keine Friedenslösung.
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