: Mehr fühlen als verstehen
■ Sommertheater: Amerikanischer Tanz mit Danza Abierta und Marie Chouinard
Zwischen Kubas Medienpräsenz in Sport und Politik und der in den Feuilletons herrscht ein krasses Mißverhältnis. Vielleicht ändert sich dieses für die kurze Zeit, in der die Tanz-Compagnie Danza Abierta beim Sommertheater auftritt. 1988, im Zuge der Lockerung der Zensur, von Marianela Boan ins Leben gerufen, ist der ,Offene Tanz', so die Übersetzung, inzwischen die bedeutendste Avantgarde-Tanzgruppe Kubas.
Kennzeichnend für die Compagnie ist ein unbefangenes Verhältnis zu choreografischen Stilmitteln, derer man sich für jede Arbeit neu bedient. Die sechs Tänzer und Tänzerinnen beherrschen vom klassischen über freien Tanz bis zur tänzerischen Umsetzung des geschriebenen Wortes ein enormes Bewegungsrepertoire. Insgesamt werden sechs unabhängige Kurzchoreografien dargeboten, die eine Retrospektive über die Arbeit der Compagnie bieten. Daß Danza Abierta sich mit ihrer Choreografie auch sozialkritisch äußern können, macht deutlich, daß man auf der Karibikinsel derzeit andere Sorgen hat, als Theaterstücke zu zensieren. In den kurzen Pausen hält Marianela Boan als Überraschung kurze „Fast-Food-Choreographien“ bereit. Man darf gespannt sein.
Nochmals überseeisch wird's mit der kanadischen Compagnie Marie Chouinard, die ihre Interpretation von Strawinkys Le Sacre du Printemps zum besten gibt. Nach Aussage der Choreografin darf man getrost „alles vergessen, was man bisher über Sacre du Printemps gehört hat“.
Laut Ensemble-Mitglied Daniel Ethier waren die zehn Monate der Vorbereitung eine „völlig neue Form der Arbeit, da alles aus dem Inneren des Körpers kommen sollte“. Produktionsassistentin Martha Carter schlägt in die gleiche Kerbe: „Marie bringt jeden Tänzer dazu, sein Seelenleben zu erforschen, erst dann kommen Choreographie, Musik und Technik.“ Kryptischer klingt die Tänzerin Marie-Josee Paradis: „Ich fühle zwar, was ich tanze, aber ich arbeite noch hart daran, es auch zu verstehen“.
Andreas Dey
Danza Abierta: heute bis Sa, Halle 4, 20 Uhr; Chouinard: heute bis Fr, Halle 6, 20 Uhr
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