■ Der Kalte Krieg ist vorbei: Legt Vorräte an!
Der erste Regentag nach wochenlanger tropischer Hitze brachte es an den Tag: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit traf der Senat Fehlentscheidungen von nicht absehbarer Tragweite. So wurde gestern das allerletzte Schäufelchen Steinkohle aus der Berlinbevorratung auf ein Schiffchen verladen und abtransportiert. Welch gedankenloser sommerlicher Leichtsinn. Die Zeiten des Kalten Krieges sind vorbei. Aber kalt kann es trotzdem werden, erst recht nach so einem heißen Sommer, in dem die Rote-Socken-Produktion auf Hochtouren läuft. Was ist denn, wenn die PDS ihre Strümpfe im Winter so richtig hoch- und Gregor Gysi in die Hauptstadt einzieht und uns im Kalten sitzen läßt? Für Notfälle war die Westberliner Vorratskammer, gefüllt mit Gütern im Wert von zwei Milliarden Mark, ja mal gedacht – damals. Bleibt nur zu hoffen, daß den roten Genossen beim Stricken hin und wieder eine Masche runterfällt.
Aber Grund zur Panik besteht noch nicht. Denn die Amis haben den Ernst der Lage erkannt. Richtige Freunde zeigen sich wirklich erst in der Not. So werden sie morgen über dem Pariser Platz am Brandenburger Tor 5.000 Schokoladentäfelchen an kleinen Fallschirmen an die ausgelieferte Westberliner Bevölkerung verteilen – wie damals. Der älteste US-Hubschrauber in Berlin, der „Spirit of Steinstücken“, wird, bevor er als nutzloses Geschenk der US-Regierung in das Alliierte Museum in Zehlendorf einfliegt, „Hershey“- Chocolate regnen lassen – die gleiche Marke wie damals. Ein letztes Mal können die Westberliner Frontstadtgefühle hautnah erleben, wenn sie sich morgen zum Brandenburger Tor aufmachen. Zwar kommt nur auf jeden vierhundertsten eine Schokolade, aber zu viel Süßes ist sowieso ungesund. Barbara Bollwahn
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