: Mit der Karawane zu den Zapatistas
Siebentausend Menschen trafen sich in dieser Woche auf Einladung der Guerilla im mexikanischen Regenwald / Die TeilnehmerInnen blieben Statisten, Star war Subcomandante Marcos ■ Aus Aguascalientes Anne Huffschmid
Fast so schön wie ein Orgasmus“ sei es gewesen, meint Subcomandante Marcos, und das Schmunzeln hinter der dunklen Wollmaske läßt sich nur ahnen. Eine Pressekonferenz im Lacandonischen Regenwald im Süden Mexikos als krönender Abschluß eines ebenso wundersamen wie paradoxen Spektakels: Mehr als 7.000 Frauen und Männer hatten sich für drei Tage auf den beschwerlichen Weg in das „befreite Gebiet“ der indianischen Zapatisten-Guerilla EZLN gemacht, um mit ihrem bewaffneten Gastgeber über „friedliche Wege zur Demokratie“ zu beratschlagen. Auch wenn die angekündigte Debatte eher einer symbolischen Zeremonie glich und die angestrebte „Pluralität“ zunächst in einen Appell an „die Einheit gegen den gemeinsamen Feind“ – das Machtmonopol der herrschenden PRI-Partei – einmündete, eines wird niemand bestreiten: die Geburt der Nationalen Demokratischen Konvention (CND) im chiapanekischen Dschungel wird als eine der bedeutsamsten Politveranstaltungen in die Geschichte des Landes eingehen.
San Cristóbal de las Casas, Sonntag morgen: nach stundenlangem Warten setzt sich die Karawane von über 230 Fahrzeugen in Bewegung, allein die Presseleute aus aller Welt sind auf 25 Kleinbusse verteilt. Stockend geht es voran durch Pinienwälder und über rote Erde. Schließlich die Feuerprobe am ersten Militärstützpunkt: allgemeines Aufatmen, als das Soldatenspalier uns freundlich durchwinkt. Offensichtlich halten sich die Streitkräfte an die von der Landesregierung ausgegebene sanfte Linie, denn auch bei den folgenden Kontrollpunkten verzichtet das Militär auf die üblichen Durchsuchungen.
Am Straßenrand scheinen alle zu wissen, wohin die Reise geht. Überall winken Kinder, Frauen und Männer der Karawane zu, viele spreizen die Finger zum Siegeszeichen, hier und da sind aufmunternde Rufe zu hören: „Viva Zapata!“ und auch „Es lebe die EZLN!“ Die Luft wird feuchter, die Wege holpriger und die Vegetation zunehmend verschlungener. Während die Busse an Kaffeepflanzen und Bananenstauden vorbeituckern, bricht die Nacht herein. Wir befinden uns in der Nähe der ersten Zapatisten-Kontrolle, heißt es schließlich. Dann plötzlich die Order: „Lichter aus!“ Eine undurchdringliche Schwärze legt sich über den Bus, nur die Zigaretten glühen in der Dunkelheit. Nervosität breitet sich aus. Keine Erklärungen, keine Geräusche außer dem ohrenbetäubenden Zirpen der Grillen.
Irgendwann graut der Morgen. Die Fahrt geht weiter durch das neblige Grün des Dschungels, bis schließlich die ersten bewaffneten Zapatistas am Wegesrand auftauchen. Höflich, aber bestimmt fordern sie die Insassen zum Aussteigen auf: Alle werden abgetastet, die Gepäckstücke nach verbotenen Gegenständen wie Waffen oder Drogen untersucht. Im Gegensatz zum regierungsamtlichen laissez faire besteht die Guerilla auf einer minutiösen Einlaßkontrolle. Nach 24 Stunden sind wir endlich am Ziel unserer Reise angelangt: die Ortschaft Guadalupe Tepeyac – ganze 200 Kilometer von San Cristóbal entfernt –, von der ein schmaler Fußweg nach Aguascalientes, dem neu errichteten Tagungsort der CND, führt.
Genau 235.000 Arbeitsstunden und umgerechnet 35.000 DM Spendengelder hatten die Männer und Frauen der EZLN investiert – so berichtet Marcos am Abend –, um das ehemalige Zuckerrohrfeld in das wahnwitzige Szenario zu verwandeln, das sich vor unseren Augen auftut: eine Art Campingplatz mit einem riesigen Freilichttheater, Schlafsälen und Kochstellen, Bibliothek und Pressezentrum. In der brütenden Mittagshitze schlagen die TeilnehmerInnen ihre bunten Zelte und Plastikplanen auf, machen sich über die mitgebrachten Lebensmittelvorräte her und erholen sich von den Strapazen der Reise.
Die Erwartungen an die Konvention? Für Antonio González Garcia, einer von ganzen zwei indianischen Dorfbürgermeistern im Bundesstaat Guerrero – neben Chiapas einer der ärmsten und „heißesten“ Regionen der Republik – bedeutet die CND nicht weniger als „eine einzigartige Chance, uns alle vor dem Bürgerkrieg zu bewahren, eine Alternative zu Wahlbetrug und Guerillakrieg“. Andere dagegen scheinen die Veranstaltung eher von der touristischen Seite zu betrachten: Immer wieder lassen sich im allgemeinen Getümmel Delegierte Arm in Arm mit einem „waschechten“ Zapatisten ablichten.
Am Abend dann sitzen alle erwartungsvoll auf den Holzbänken vor der Bühne, hinter der malerisch die mexikanische Nationalflagge ausgebreitet ist. Sprechchöre heizen die Stimmung an und markieren kaum überbrückbare Differenzen: Die angereiste Maoistenfraktion verlangt lautstark nach einer Arbeiter- und Bauernregierung, während sich andere mit „Viva Zapata – der Kampf geht weiter“, „Demokratie!“ und „Tod der PRI“ die Kehlen heiser brüllen.
Schließlich betreten die maskierten Gastgeber das Podium. Nachdem der frenetische Begrüßungsapplaus abgeflaut ist, verliest Comandante Tacho in gebrochenem Spanisch die Liste der Mitglieder des 100köpfigen Präsidiums der CND: jeweils zwei Sprecher aus den 31 Bundesstaaten plus der Hauptstadt sowie 36 „Figuren des politischen Lebens“, darunter so illustre Persönlichkeiten wie die Journalistin Elena Poniatowska, der Jornada-Chefredakteur Carlos Payan und renommierte Politologen wie Rodolfo Stavenhagen oder Pablo González Casanova. Ganze sechs Frauen sind mit von der Partie und – unter den gegebenen Umständen weitaus erstaunlicher – kein einziger Vertreter der EZLN. Marcos erläutert den Grund für die zapatistische Bescheidenheit: „Diese Konvention ist gedacht als die friedliche Suche nach einem Wandel, deshalb dürfen ihr auf keinen Fall bewaffnete Leute vorsitzen.“
Nachdem die Präsidiumsmitglieder ihre Plätze eingenommen haben, beginnt eine Parade der zapatistischen Milizen. Hunderte Frauen, Kinder und Alte marschieren mit ernsten Gesichtern und dem roten Halstuch, dem Erkennungszeichen der Guerilla, vor dem Gesicht an Tribünen und Fernsehkameras vorbei. „Sie sind es, die uns in den Bergen über Jahre hinweg mit Bohnen und Tortillas versorgt haben“, erklärt Tacho sichtlich bewegt. Minutenlang stehender Beifall. Dann kündigt Marcos eine Truppenparade besonderer Art an: Drei Bataillone von EZLN-SoldatInnen ziehen in voller Kampfmontur an Präsidium und Publikum vorüber, an jeder einzelnen Gewehrspitze baumelt eine kleine weiße Fahne. Marcos erläutert die paradoxe Symbolik: „Es sind Waffen, die überflüssig werden wollen.“
In seiner Eröffnungsansprache erläutert Marcos die Erwartungen der Zapatistas an ihre zivilen Gäste. Die CND bedeute die „Möglichkeit, der Nation ein basta anzubieten, das nicht mehr nur die Stimme von Bauern und Indianern hat“. Das neue Aguascalientes sei als Ort der Begegnung gedacht, „nicht für den Austausch von Lobgesängen oder Vorwürfen, nicht als Tribüne für persönliche Profilierung und auch nicht für die bedingungslose pazifistische Erpressung“, sondern als die „zivile, friedliche und landesweite Organisation des Kampfes für Demokratie“. „Deshalb bitten wir Euch“ – so Marcos – „eure Unterschiede keinesfalls zu vergessen, aber sie einen Moment lang beiseite zu lassen, um den gemeinsamen Feind zu entdecken.“ Die EZLN sei dabei nur eine Kraft unter anderen, ohne jeden Führungsanspruch: „Wir können und wollen nicht diesen Platz einnehmen, den so viele von uns erwarten, diesen Platz, von dem alle Antworten, alle Wege und alle Wahrheiten ausgehen.“
Die vielleicht wichtigste Botschaft des Abends: Die Guerilla werde sich von heute an als ausführendes Organ der zivilen CND verstehen. „Es ist nicht die Stunde der Waffen, wir treten beiseite, aber wir treten nicht ab. Wir werden warten, bis wir nicht mehr notwendig, bis wir nicht mehr möglich sind.“ Gegen die hartnäckigen Gerüchte über eine erneute Kriegserklärung nach den Präsidentschaftswahlen am 21. August stellt Marcos unmißverständlich klar: „Von uns wird keine Wiederaufnahme des Krieges ausgehen.“
Nachdem die Ovationen und die vieltausendstimmige Nationalhymne im nächtlichen Dschungel verklungen sind, überreicht der EZLN-Sprecher der frisch gekürten CND-Präsidentin, der renommierten Politikaktivistin Rosario Ibarra, die Nationalfahne. Dann bereitet die Natur dem pathetischen Schauspiel ein abruptes Ende: Innerhalb von Minuten verwandeln sturzbachartige Regenfälle die Tribüne und das Lager in ein gigantisches Schlammbad.
Und dann geht plötzlich alles sehr schnell. Am nächsten Morgen wird, angesichts der drohenden Gewitterwolken, die vorzeitige Heimreise der convencionistas beschlossen. Dutzende von Grußadressen werden nacheinander verlesen und die eher allgemein gehaltenen Beschlüsse der Arbeitsgruppen, die am vergangenen Samstag in San Cristóbal zu Themen wie „Übergangsregierung“ und „neue Verfassung“ getagt hatten, vom Plenum abgesegnet. Das nächste Treffen des kollektiven Präsidiums ist für den 19. August in der Bundeshauptstadt vorgesehen; dort sollen dann konkrete „Aktionen zivilen Widerstands“ für den allgemein befürchteten Fall des Wahlbetrugs zugunsten der PRI vereinbart werden.
Was bleibt ist ein Gefühl von Aufbruch, dem sich wohl keiner der Dabeigewesenen entziehen kann. Aber auch Fragen: Trotz ihres demokratischen Anspruches blieben die TeilnehmerInnen der Konvention Statisten. Und Hauptdarsteller war niemand anders als der legendäre Subcomandante. Als dieser am Abend mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und rauchender Pfeife auf die Bühne trat, wurde gejubelt wie zu keinem anderen Zeitpunkt der Veranstaltung. Die vielen „Viva Marcos“- Rufe machen skeptisch. Wird da ein neuer caudillo geboren, geht es in Wirklichkeit eher um die Suche nach einem neuen Führer als um die so inbrünstig beschworene Demokratisierung? Kein Zweifel, die Gefahr besteht. Aber da ist noch etwas anderes: Als Marcos auf besagter Pressekonferenz gefragt wird, wann er bereit sei, die Maske abzulegen, antwortet er spontan: „Jetzt sofort.“ Ein Raunen geht durch die Menge, die Fotografen halten ihre Kameras startbereit. Nach einer Schrecksekunde aber beginnt der Protest, ein vielstimmiges Nein schallt durch die Lichtung im Urwald. Er läßt abstimmen: „Wer ist dafür, daß Marcos die Maske aufbehält?“ Alle Hände gehen nach oben. Wie hatte der Bauernführer Marcelino Diaz so treffend gesagt: „Marcos ist vor allem ein Symbol, eine Idee. So wie er aus dem Morgengrauen aufgetaucht ist, wird er wieder in der Nacht verschwinden, ohne daß wir jemals erfahren, wer er wirklich ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen