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Wenn der Staatsanwalt gegen Polizei ermittelt ...

■ „Hetzjagd auf Demonstranten“ bei Anti-Reps-Demo 1991 für die Polizei ohne Folgen: Daß es bei dem Einsatz strafbare Handlung gab, hält der Staatsanwalt für „möglich“, eigene Ermittlungen gegen Polizisten nicht für nötig

Wenn einem Demonstranten gewaltsames Vorgehen gegen Polizeibeamte vorgeworfen wird, dann ermittelt die Staatsanwaltschaft und der „Täter“ wird vor Gericht gestellt. Wenn ein Polizist in der Verfolgung eines Demonstranten möglicherweise das zulässige Maß in strafbarere Weise überschritten hat, dann - passiert normalerweise nichts. Dies ist das gängige Vorurteil unter DemonstrantInnen. Der Bremer Anwalt Reinhard Engel hat in einem Fall die Probe aufs Exempel gemacht.

Die Mühlen der Staatsanwaltschaft drehen sich langsam, der Fall liegt inzwischen lange zurück: Am 10.9.1991 hatten die Reps eine Wahlkampf-Kundgebung in der Stadthalle anberaumt, Gegendemonstranten versammelten sich davor. Ein Demonstrant hatte mit lebensgefährlicher Leuchtmunition auf die Polizei gezielt. Der Mann wurde festgenommen und zu neun Monaten Gefängnis verurteilt - so weit, so normal.

Wie die Polizei diese Festnahme realisiert hat, steht auf einem anderen Blatt. Daß dabei „ein Beamter das zulässige Maß der Maßnahmen in strafbarer Weise überschritten hat, ist möglich“, räumt der ermittelnde Staatsanwalt von Bock ein. Nach dem Bericht verschiedener Augenzeugen fuhr ein Polizeifahrzeug in großer Geschwindigkeit hinter dem Demonstranten her - so bedrohlich, daß mehrere Zeugen sich die Nummer merkten: HB-7244. Martin Thomas, innenpolitischer Sprecher der Grünen, war augenzeuge und fand: „ein Versuch schwerer Körperverletzung.“ Der Betroffene selbst sagte später in seinem Prozeß aus, er habe irgendwann nicht mehr gekonnt und sich trotz der Angst, überfahren zu werden, fallen lassen müssen. Dann seien mehre Beamten auf ihn eingestürzt, hätten auf ihn eingeschlagen - er sei im Polizeiwagen mit verbundenem Kopf aus der Bewußtlosigkeit aufgewacht. Augenzeugen bestätigten dieses „Einknüppeln“, acht bis zehn Polizisten gegen einen da völlig wehrlosen Demonstranten. Erst als ein Polizist mit Funkgerät - offenbar ein leitender Beamter - hinzutrat, habe die Knüppelei ein Ende gefunden. Im Polizeiwagen sei ihm „auf sein Verlangen nach einem Arzt erwidert worden sein, daß er erst einen Arzt bekomme, wenn er im Koma liege“, steht unwidersprochen in den Akten der Staatsanwaltschaft. Um kurz nach 20 Uhr war H. festgenommen worden, erst eine Stunde später, gegen 21.20 Uhr, wurde er „erstmals wegen seiner Kopfverletzung ärztlich versorgt“, stellt die Staatsanwaltschaft fest, danach in ein Krankenhaus gebracht. Kommentar der Staatsanwaltschaft: „Bei dieser Sachlage kann den beteiligten Polizeibeamten eine unterlassene Hilfeleistung nicht nachgewiesen werden.“

Wenn acht bis zehn Polizeibeamte auf einen wehrlosen Menschen einschlagen, anstatt ihn schlicht festzunehmen - könnte das den Verdacht der Körperverletzung im Amt begründen? Der Anwalt Engel hat auch diese Frage per Strafanzeige der Staatsanwaltschaft vorgelegt.

1991 noch erklärte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, wegen der „umfangreichen“ Ermittlungen könnte es etwas länger dauern. Staatsanwalt von Bock ermittelte aber nicht gegen die Polizisten, sondern wartete die Verfahren gegen die Demonstranten ab und stellte daraufhin das Verfahren gegen die Polizeibeamten Ende Juni 1994 ein. Und dann kommt der Satz: „Ob dabei ein Beamter das zulässige Maß der Maßnahmen in strafbarere Weise überschritten hat, ist möglich“, nur sei dies keinem nachzuweisen. Woher weiß dies ein Staatsanwalt, wenn er keinen der beteiligten Polizisten dazu vernommen hat? Beteiligte Polizeibeamte zu dem Fall zu vernehmen sei nicht erforderlich gewesen, sagt von Bock. Begründung: „Es meldet sich doch keiner, der sagt: ich war es nicht, aber der Kollege soundso...“

Rechtsanwalt Engel war empört. Mit einer Beschwerde wandte er sich im Juli 1994 an die Generalstaatsanwaltschaft. „Üblicherweise hätten sämtliche an der Festnahme beteiligten Beamten“ vernommen werden müssen, erklärte er. Wenn die Staatsanwaltschaft von vornherein davon ausgehe, daß Beamte sowieso bei einer Vernehmung nicht die Wahrheit sagen, sondern ihre Kollegen nur „decken“ würden, dann müßten Polizeibeamte in Bremen das so verstehen: „Gefangene dürfen mißhandelt werden, soweit das aus einer Gruppe heraus passiert...“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat diese Beschwerde jetzt als unbegründet zurückgewiesen. Grundsätzlich, so die Begründung, ist die Staatsanwaltschaft in der Gestaltung ihrer Ermittlungen frei. „Es begegnet keinen Bedenken“, bei Vorwürfen gegen Polizisten überhaupt nicht zu ermitteln, sondern allein das Strafverfahren gegen die möglicherweise mißhandelten Demonstranten abzuwarten. Im Justiz-Deutsch liest sich das so: Die Staatsanwaltschaft darf „die Aufklärung des Sachverhalts entsprechend den unterschiedlichen Bedingungen des Einzelfalles ... gestalten“.

Die Generalstaatsanwaltschaft findet die Einstellung der Verfahren gegen die Polizisten auch in der Sache berechtigt: Immerhin sei der „zwischen 20.10 und 20.20 Uhr“ festgenommene Demonstrant ja „gegen 21.20 erstmals“ ärztlich versorgt und danach ins Krankenhaus gebracht worden - also keine „unterlassene Hilfeleistung“. Auf den Einwand des Anwaltes einzugehen, daß hier doch „die Mißhandlung eines Demonstranten bei der Festnahme zu prüfen“ gewesen wäre, scheint die Generalstaatsanwaltschaft schlicht vergessen zu haben - kein Wort dazu.

Rechtsanwalt Engel dazu: Wenn sich die Polizei „als Inbegriff staatlichen Gewaltmonopols (nicht) in besonderer Weise an die gesetzlichen Vorschriften“ hält, dann entsteht der Eindruck, daß hier von Beamten außerhalb der Gesetze ein „Kleinkrieg mit sogenannten autonomen Gruppen“ ausgetragen wird. K.W.

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