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Aziz Nesin – vom Opfer zum Täter

■ Der türkische Volksschriftsteller soll als „Volksverhetzer“ angeklagt werden

Berlin (taz) – Der türkische Schriftsteller und Satiriker Aziz Nesin, Autor von an die 100 Büchern mit Spitzenauflagen und international renommierter Menschenrechtler, soll wegen „Volksverhetzung“ vor Gericht gestellt werden. Das kündigte die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara an. Für „Volksverhetzer“ sieht das Strafgesetzbuch die Todesstrafe vor. Ziel des Verfahrens ist nach Informationen der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ in Berlin die Verurteilung des Schriftstellers als „Provokateur“ des von islamischen Fundamentalisten angezettelten Brandanschlages auf ein Hotel in Sivas im vergangenen Jahr. In einem Schreiben an das staatliche Sicherheitsgericht der Türkei fordert die Liga die sofortige Rehabilitierung von Nesin, der durch die Äußerungen des Gerichtes „vom Opfer zum Täter“ gemacht werde.

Bei dem Attentat in der anatolischen Provinzstadt Sivas waren im Juli vergangenen Jahres 37 Menschen ums Leben gekommen, zahlreiche weitere wurden verletzt aus den Flammen geborgen. Nesin selbst entkam im letzten Moment mit einer Rauchvergiftung. Zu dem Attentatszeitpunkt fand in dem Hotel ein Treffen laizistischer Schriftsteller statt, das Nesin angeregt hatte. Schon lange vor der Brandstiftung belagerten Zehntausende demonstrierende islamische FundamentalistInnen das Gebäude. Die Polizei griff nach Berichten von Augenzeugen erst sehr spät ein.

Schleppend verläuft auch der Sivas-Prozeß vor dem Sicherheitsgericht in Ankara. Gegen 86 der anfangs 124 der Brandstiftung Beschuldigten wird nicht mehr ermittelt. Die Verteidigung nutzt das Verfahren, um den Laizismus in der Türkei zu diskreditieren.

Der 79jährige Nesin, der sich stark für die türkische Übersetzung der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie engagierte, ist als ein energischer Verteidiger des Laizismus aufgetreten, den die türkische Verfassung vorschreibt. Seit einiger Zeit prangert er das Erstarken fundamentalistischer Strömungen in seinem Land an.

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