: Mit Obelix Bücher ausleihen
■ Pilotprojekt in der Amerika Gedenkbibliothek: Mittels Computer und Modem kann man von zu Hause aus direkt mit dem Zentralrechner kommunizieren
So mancher scheut den Weg in Berlins große Bibliotheken, weil er öfter schon umsonst eine Bestellkarte ausgefüllt und auf die Bearbeitung gewartet hat. „Ich habe die Hälfte meines Studiums damit verbracht, irgendwelchen Büchern hinterherzujagen“, sagt Eva Lischke. Für die 31jährige Politologin ist die Zeit des Ausleihfrusts endgültig vorbei. Seit Juni diesen Jahres können sie und Testpartner Georg Schreiber im Rahmen eines Pilotprojektes die Bücherlisten der Amerika Gedenkbibliothek (AGB) vom eigenen Schreibtisch zu Hause aus durchforsten.
Vorher gemütlich nachschauen, ob ein Buch ausgeliehen ist — die Telefonleitungen und das Programm „Obelix“ machen es möglich. Nachdem Eva Liskes Computer das EDV-System der AGB über ein Modem angerufen hat, braucht es nur noch einiges Schnarren und ein paar Piepser, und dann öffnet sich das Tor zu den über 400.000 Büchern in den Beständen der AGB. Nun kann das große Recherchieren beginnen. Schnell das Stichwort „Zwilling“ eingegeben, und schon erscheint auf dem Bildschirm im eigenen Arbeitszimmer die Liste der Bücher zum Thema — von „Hanni und Nanni im Landschulheim“ bis zur Zwillingsforschung. Daß die Elektronik die Distanz zwischen Liskes Wohnung in Wilmersdorf und der AGB in Kreuzberg verschwinden läßt, überrascht die Computerexpertin immer wieder: „Es ist erstaunlich, wie schnell der Datentransfer geht.“
Im nächsten Jahr will die AGB als erste öffentliche Bibliothek Deutschlands den schnellen Zugriff auf ihren Zentralcomputer allen ermöglichen, die daran interessiert sind. „Wir hoffen, daß dadurch die Situation in der Bibliothek entlastet wird und sich der Service verbessert“, sagt Sprecherin Daniela Schossau. Aus Personalmangel seien zum Beispiel telefonische Auskünfte derzeit nur stark eingeschränkt möglich, außerdem wären erst 10 der 30 geplanten EDV-Terminals im Gebäude einsatzbereit.
Vorher müssen die AGB-Techniker allerdings noch einige Probleme und „Benutzerunfreundlichkeiten“ lösen, die die ehrenamtlich arbeitenden Versuchskaninchen in Wilmersdorf aufgespürt haben. „Das System ist noch nicht idiotensicher“, sagt Schreiber, der im Team die Rolle des computerunkundigen „Deppen, der sich anstellt“ übernommen hat. „Man muß manchmal zwar nur ein paar Buchstaben eingeben, aber die muß man wissen.“
Liske und Schreiber, die auch schon mal um Mitternacht oder am frühen Sonntagmorgen Obelix angerufen haben, seien bei der Fehlersuche „Gold wert“ gewesen, so der zweite Direktor der AGB, Peter Borchardt: „Sie haben so einige Fallstricke erkannt.“ Wenn diese beseitigt sind, rechnet er mit 1.000 bis 2.000 Interessenten: „Es ist doch wirklich ein Vorteil, wenn man nicht umsonst aus dem Wedding kommen muß.“
In Lischkes und Schreibers Bekanntenkreis war der heiße Draht zur AGB auf jeden Fall von Nutzen. „Meiner Nachbarin wurde in der AGB gesagt, daß ihr Buch nicht vorrätig ist“, erinnert sich Liske, die daraufhin selber im Computer nachsah, das Werk fand und die Auflistung ausdruckte. Mit Erfolg. „Als sie mit dem Ausdruck in die Bibliothek kam, hat sie das Buch bekommen.“ Anne-Kathrin Schulz
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