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Deckert, Wohnort: Weinheim

In der beschaulichen Kleinstadt an der Bergstraße sitzt der NPD-Vorsitzende im Stadtrat / Geachteter Bürger oder politischer Außenseiter?  ■ Aus Weinheim Rolf Bernhard

Die braune Brühe beleidigt sämtliche Sinne: aufreizend träge und trübe trödelt die Weschnitz durch Weinheim, dem Rhein zu. Der braune Mitbürger Günter Deckert beschert der Stadt an der Bergstraße einen dubiosen Bekanntheitsgrad – aber womit hat sie ihn verdient?

Auf dem zur Klosterkirche leicht ansteigenden Marktplatz in Weinheim beschatten Laubbäume Tische und Stühle vor heimeligen Hexenhäuschen, in denen Wirtschaften wie „Diesbloch“, „Kugelofen“ und „Eichbaum“ residieren. Hier kulminieren die jährlichen Himmelfahrts-Treffen der Korporierten vom Weinheimer Convent – nach einem Fackelzug von der Wachenburg herunter – in biervollen Exzessen. Wabert hier alter deutscher Ungeist, der Weinheims Deckert vor Mannheims Richter und jene, da sie eine Philippika nicht zustande brachten, jenningerhaft in die Bredouille brachte?

Im flachen Westen Weinheims gruppieren sich phantasielose Wohnblocks mit einem Einkaufszentrum und der Stahlbad-Siedlung zu einer Vorstadt mit stark proletarischem Charakter. Hier verblühten einst die Träume des Kurbads Weinheim, hier steht auch das Jugendhaus West, dem Deckert am liebsten die Gelder streichen würde, weil zuviel Jugendarbeit mit zu vielen nichtdeutschen Jugendlichen gemacht wird. Brüten sie hier, die dumpfen Ressentiments der Zukurzgekommenen, der diffuse Neid der Modernisierungsverlierer, der sündenbocksüchtige Haß der Ausgegrenzten?

Der Sportplatz des Weinheimer Stadtteils Sulzbach liegt in einer windigen Ecke an der Autobahn: Hier auf dem trostlosen Sandplatz würde der gebürtige Sulzbacher Deckert die Linken demonstrieren lassen, wäre er denn OB von Weinheim. Sulzbach selbst liegt an der Bergstraße zu Füßen des sanften Odenwaldes, ein kleines bäuerliches Dorf noch immer, mit Salon Madame (Naturhaarfarben ohne Ammoniak), der Prinz-Friedrich- Anlage (mit Gartenschach) und einer Reklame von „Andrea's Beschriftungsstudio“ aus Offenbach/ Main beim Stadtplan. Die Kleinbauern arbeiten schon lange in der Freudenbergschen Fabrik, mähen abends um Nadelbäume herum ihren Rasen und haben die Satellitenanlage an der Hausfassade hängen. Draußen, ein Stück weit abgesetzt vom Dorf und der Bergstraße, stehen häßliche Hochhäuser in Sulzbach West. Brodelt hier die braune Suppe auf den kochenden Emotionen der Entwurzelten, Entfremdeten, ehrbaren Einheimischen deutscher Nationalität?

Oder anders gefragt: Wie hätten wir ihn denn gerne, unseren gegenwärtigen Rechtsextremismus? Wir, die wir kein Problem damit haben, uns zu den Gebrüdern Ferrarese in „La Cantina“ unter die Bäume des Marktplatzes zu gesellen, die in der „Markthalle“ in der Hauptstraße gerne elsässische Lachsterrinen und Portweinpasteten kaufen, die im „Grünen Baum“ Frankenthaler Bier trinken und nicht über des Gasthofs Zweitnamen „New Korea“ nachsinnen?

Günter Deckert wohnt in unverbauter Hanglage im einstigen „Musebrotviertel“ Prankel, wo sich die Häuslebauer ihr Heim vom Mund absparen mußten. Er kann seinen Blick in die Rheinebene bis Mannheim und darüber hinaus schweifen lassen, am Herzen aber liegt ihm Weinheim. Das „deutsche Weinheim“ allerdings – da kommt es schon vor, daß bei einer Deckert-Wahlveranstaltung nur ortsansässige Pressevertreter Zutritt erhalten. Die Stadt gilt angesichts eines seit Jahren überdurchschnittlichen NPD-Stimmenanteils und trotz langjähriger SPD-Regentschaft als rechte Hochburg, in der Deckert bei Oberbürgermeister-, Kommunal-, Kreis- und Bundestagswahlen zwischen 3.253 (OB-Wahl 1974) und 1.125 (Landtagswahl 1992) WählerInnen hinter sich bringt. Bei der Kommunalwahl im Juni erhielt seine „Deutsche Liste“ 3,4 Prozent der Stimmen, Deckert wurde aber insgesamt von über 7 Prozent der Wählerschaft mit Stimmen bedacht, wie Bernhard Feuling vom Weinheimer Antifaschistischen Aktionsbündnis ermittelte: „Beim Panaschieren gaben 6,6 Prozent der FWV-Wähler, 5,4 Prozent der CDU-Wähler und 3,3 Prozent der SPD-Wähler auch Deckert mindestens eine Stimme.“ Deckert sitzt dank fehlender Fünfprozentklausel im Weinheimer Stadtrat.

Stimmbezirke mit hohem NPD- Anteil liegen verstreut über ganz Weinheim und entziehen sich der Zuordnung zu eindeutigen sozialen Merkmalen: rechts denkt man überall. Erhöhte Stimmenzahlen sind charakteristisch für Wohnorte prominenter NPD-Funktionäre. Obwohl Deckert seit Übernahme des Parteivorsitzes 1991 die NPD konsequent gegenüber der gewalttätigen Szene geöffnet hat und mit seinen Ansichten nicht hinter dem Berg hält, treffen seine Vorstellungen auf gedankliche Brückenköpfe in biederen Bürgerhirnen. Jovial promeniert er zur Weinheimer Kerwe (Kirchweih) mit Frau und Anhang durch die rappelvolle Hauptstraße, grüßt und schüttelt Hände. Beim „Jöschte Andres“, einer originellen Odenwälder Bauernwirtschaft im Weinheimer Stadtteil Rittenweier, sitzt er gerne mit Glatzen bei Äppelwoi und Handkäs und benutzt die Gaststube des weithin bekannten Wirts und Teufelsgeigen-Virtuosen als Kulisse demonstrativer Volksnähe.

Jahre vor der Jogging-Welle gründete er den Weinheimer Lauftreff: Beim Laufen im „Exotenwald“ muß er schmarotzende Pflanzen gesehen haben, was seinen Wortschatz um Begriffe bereicherte, mit denen er heute Ausländer zu bezeichnen pflegt. Als Handballer bei TuS, einem alten Arbeitersportverein, erwarb er sich sportliche Meriten, und noch vor wenigen Jahren trug er beim zweiten Weinheimer Traditionsfest, dem Sommertagszug, das Banner des Odenwaldklubs, in dessen Jugendarbeit er lange engagiert war. Der Wanderverein warf das politisch peinliche Mitglied zwar inzwischen hinaus, der örtliche Vorsitzende kümmert sich unterdessen rührend um ein anderes Stück „deutsches Weinheim“: das Kriegerdenkmal.

Die granitene Greulichkeit wurde 1936 an der Bahnhofstraße aufgestellt. Drei heroische Kämpfer mit Gewehr und Trommel sollen an die Gefallenen der Weltkriege erinnern und sind zugleich Deckerts liebste Kulisse für Kundgebungsreden. Der Bürgermeister, der 1936 für die Errichtung des Denkmals sorgte, nahm sich nach 1945 der Renovierung des steinernen Stumpfsinns an, und bis in die jüngste Vergangenheit, in der ein Künstlerwettbewerb wenigstens für eine friedliebende Verfremdung der Figuren sorgen sollte, blieb das Nazi-Monument eine wunde Stelle in Weinheim. Einst zum ersten Kiffer-Treff umfunktioniert und nach Jimi Hendrix' Tod mit großen Buchstaben zur Hendrix-Gedenkstätte umgeweiht, sprüht hier regelmäßig die Wut der Autonomen über, unbeirrbar gefolgt von Säuberungen der Stadtverwaltung.

Diese Stadtverwaltung mit dem Sozialdemokraten Uwe Kleefoot an der Spitze ist um ihren rechten Stadtrat Deckert nicht zu beneiden: Verweigert sie ihm kommunale Räume für Wahlveranstaltungen, drohen Klagen und Wahlanfechtungen. Präsentiert Deckert triumphierend die Prominenz der revisionistischen Geschichtsdeutung in städtischen Räumen, schmerzt dies über das Antifaschistische Aktionsbündnis hinaus viele Menschen in Parteien, Gewerkschaften und Kirchengemeinden. Die Gaststätte „Zur Burg Windeck“, in der vor drei Jahren die gerichtsnotorische Leuchter- Veranstaltung stattfand, verweigerte Deckert fortan ihre Räume. Ganz geschlossen ist sein einstiges Lieblingslokal, das „Deutsche Haus“ in der Friedrichstraße, in der auch die Weinheimer Nachrichten ihren Sitz haben. Dessen Leserbriefspalten nutzt Deckert gerne als Tribüne für seine Tiraden. Nicht wenige davon brachten ihn vor Gericht, so auch im – derzeit vom Mannheimer Landgericht verschobenen – Verfahren wegen Beleidigung seiner Intimfeinde vom Antifaschistischen Aktionsbündnis, die er als „Altkommunisten im Geist des Massenmörders Stalin“ schmähte. Das Amtsgericht Weinheim brummte ihm dafür zehn Tagessätze zu 50 Mark auf, während im selben Verfahren die Beleidigung der Kripo Heidelberg als „Stasi“ neunzig Tagessätze nach sich zog.

Deckert seinerseits beantwortet fast jedes Flugblatt mit einer Anzeige, die er beinahe automatisch gegen Bernhard Feuling vom Antifaschistischen Aktionsbündnis erstattet, gleichgültig ob dieser als Verantwortlicher zeichnet oder nicht. Die Atmosphäre bei Deckert-Veranstaltungen ist also kräftig aufgeheizt, seine Gegner wissen es zu schätzen, wenn er bremsen lassen muß („Günter, es reicht!“). Ist Deckert in Fahrt, leidet auch die Artikulation unter seinem Drang zur militärisch knappen Rede – und doch ist es nicht damit getan, sich mit dem psychopathologischen Zustand Deckerts abzufinden. Seine offenbar aus persönlich empfundener Bedrängnis stammenden Ressentiments gegen Ausländer, Sozialhilfeempfänger, sozialpolitische Jugendarbeit treffen nicht als abstraktes Gesamtprogramm, wohl aber bei einzelnen Stichworten auf Verständnis: zu viele ausländische Jugendliche auf dem Treffpunkt Dürre- Platz (aber im Jugendhaus will er sie auch nicht haben), zu viel Geld für Schulspeisung, die auch nicht aus Weinheim stammenden Schülern zugute kommt – nichts ist zu abstrus, daß er es nicht als Volkes Stimme verkünden würde, und mitunter glauben Teile des Volkes diesem Vorsprecher.

Seit der Sinus-Studie von 1981 wissen wir von einem rechtsradikalen Potential von 13 Prozent der Bevölkerung. Daß dies weit entfernt von einer Mehrheit und zumeist auch weit entfernt von politischer Repräsentanz in Parlamenten war, lullte offenbar ein. Braune Sumpfblüten am rechten Rande werden zum Problem, wenn ihre Positionen auf – wenn auch punktuelles – Verständnis treffen in einem Lager, das sich den bürgerlichen, wohlanständigen Nationalismus auf das Panier geschrieben hat. So braucht man sich nicht zu wundern, wenn in Weinheim biedere Geschäftsleute oder Arbeiter oder Handwerker dem NPD-Chef erst zuprosten und dann zustimmen. Die Stadt an der Bergstraße weist keine soziale oder demographische Schieflage auf, ganz Deutschland ist so: teilweise rassistisch, teilweise antisemitisch und teilweise antidemokratisch.

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