Krümel kauen für die Kamera

■ Brotprüfer Isensee testet Hamburgs Bäckereien Von Kaija Kutter

Haben Sie Vertrauen in Ihren Bäcker an der Ecke? Lang genug gehabt, wahrscheinlich. Denn es gibt exakt 100 Dinge, die mit dessen Brot nicht stimmen können. So umfangreich ist das Prüfschema, nach dem Michael Isensee, der Brotprüfer des Deutschen Bäckerhandwerks, Backwaren untersucht.

Keine Angst, vertrauen Sie ruhig. Das ist die Message der PR-Aktion, die die Bäckerinnung gestern in der „Hamburger Bank“ am Alstertor veranstaltete. „Wer in Hamburger Bäckereien Brot kauft, braucht keine Angst vor Chemie zu haben“, beteuerte der Innungssprecher Heiner Cordes. Denn die Bäcker bezögen ihre Rohstoffe fast nur über die Bäcker- und Konditorengenossenschaft (Bäko), die ihre Mitglieder vor Gefahren warnt. Mit Insektizid gespritzte Sonnenblumenkerne auf Afrika, zum Beispiel, kommen nicht in Hamburger Backstuben. Und: Schon allein aus Kostengründen verzichten immer mehr Betriebe auf Fertigbackmischungen der Industrie. Zurück zum Mehl, lautet die Devise. Denn davon kostet das Kilo nur 50 Pfennig - die Mischung sechs Mark.

Aber auch ohne Chemie kann in Hamburgs Backstuben manches schiefgehen. Das erste von 60 Broten, das Brotprüfer Isensee gestern vor laufender Kamera testete, wies gleich drei Mängel auf. Es war „von ungleichmäßiger Helligkeit“ im Innern, besaß eine „zu dichte Lockerung“ und war „vom Geschmack her wenig aromatisch“. Experte Isensee, der sich im Anschluß an die Meisterprüfung mit „Sensorik-Seminaren“ für den Posten qualifizierte - es gibt nur vier Brotprüfer in der BRD - mußte das Graubrot gleich mehrfach kauen, beziehungsweise den Brotbrocken an den Mund führen - diverse Fotoreporter wollten es so.

Was war also schiefgegangen mit Testbrot Nummer 1? „Der Bäcker hat den Teig zu früh aufgemacht“, vermutete Isensee. Der müsse an sich ein Viertelstündchen in der Rührschüssel ruhen. Aber Zeit ist Geld, Streß in deutschen Backstuben. So ist es auch nicht leicht, die Backdauer von Brötchen zu bestimmen. Der Kunde will helle Semmeln, damit diese aber die vorgeschriebene Krustenstärke haben, gehören sie braungebacken.

Eine Fachwelt tut sich auf, Dimensionen, von denen der Verbraucher nichts ahnt. Die Kruste kann beispielsweise nicht nur zu dick, verbrannt, abgerissen, abgesplittert, ungleichmäßig, dünn oder rissig sein. Sie kann auch eine ungleichmäßige, helle oder dunkle Bräunung besitzen, eine stumpfe Oberfläche, Schrumpffalten, Blasen, Sprenkel oder Quetschfalten. Ebenso ausdifferenziert ist die Beurteilung von Form, Aussehen, Lockerung, Krumenbildung, Struktur und Geschmack.

Testbrot 1 bekommt die Note „befriedigend“. Der Bäcker, der das Testat anonym ablieferte, bekommt von Isensee ein paar Tips. Bleibt die Ware ohne Beanstandung, so gibt es silberne und goldene Urkunden, allerdings gilt es unter Innungsmitgliedern als unfein, damit zu prahlen.

Neugierige Konsumenten können heute noch in der Hauptstelle der Bank (Alstertor 9) und morgen in Harburg (Lüneburger Tor 2) und Übermorgen in Allermöhe (Edith-Stein-Platz 3) dem Prüfprofi über die Schulter gucken. Vielleicht erfahren Sie über Ihr Lieblingsbrot, ob es „wenig aromatisch, aromaarm, fade, kleistig, teigig, sauer, herbsauer, fremdartig sauer, salzig, süß, bitter, überwürzt, streng, heftig, alt gärig, ranzig, dumpf oder muffig“ schmeckt. Oder vielleicht ist das egal, weil die Bäckereiverkäuferin jeden Morgen so nett ist.