Nach Abschiebung spurlos verschwunden

■ Kurde aus Oldenburg am Flughafen Istanbul verhaftet? Deutsche Behörden wissen von nichts

Schwere Vorwürfe erheben MitarbeiterInnen von Flüchtlingsorganisationen gegen die Behörden in Niedersachsen: Der Kurde Veysel Sarikayalar soll aus Hannover direkt in die Arme des türkischen Geheimdienstes abgeschoben worden sein. Der Mann wurde vom Bundesgrenzschutz in Hannover ins Flugzeug nach Istanbul gesetzt – seitdem ist er verschwunden. Für FreundInnen und UnterstützerInnen des Mannes ist klar: Sarikayalar wird vom türkischen Geheimdienst verhört und möglicherweise gefoltert.

Nach den Worten von Ali Zahedi von der „Arbeitsgruppe Abschiebung“ des Oldenburger Medienbüros habe die Schwester des Abgeschobenen ihn am Flughafen abholen wollen, aber umsonst gewartet. Weder die alarmierten türkischen Menschenrechtsorganisationen noch JournalistInnen wissen bisher, wo Sarikayalar geblieben ist. Übrig bleibt nur eine Verhaftung im Flughafen durch türkische Sicherheitskräfte.

Veysel Sarikayalar war nach Angaben der Arbeitsgruppe bei einer Demonstration in seiner Heimat Malatya verhaftet worden. 1991 floh er deshalb nach Deutschland und bat um politisches Asyl. Der Antrag wurde abgelehnt, Sarikayaler blieb illegal in Deutschland und wurde nach seiner Verhaftung Anfang August in Emden inhaftiert. Von dort wurde er vergangene Woche nach Oldenburg verlegt und nach Hannover zum Flughafen gebracht. Weder Proteste in Oldenburg noch in Hannover konnten verhindern, daß er schließlich am Samstagabend abgeschoben wurde.

„Veysel ist ein einfacher Mensch und keine berühmte Person, er hat kaum eine Chance darauf, bald freizukommen,“ meint Ali Zahedi. Vor seiner Abschiebung habe Sarikayalar große Angst gehabt, berichtet Zahedi. Er habe im März diesen Jahres an einer kurdischen Demonstration teilgenommen, sein Bild unter einem Transparent mit der Aufschrift „Die PKK ist das Volk“ sei in Zeitungen in der Türkei verbreitet worden. „Veysel hat die Beamten angefleht, ihn überall hinzuschicken, nur nicht in die Türkei. Er hatte große Angst davor, gefoltert zu werden. Ich habe ihn angefaßt, seine Hand war völlig kalt, wie von einem Toten.“

Von Sarikayalars Verschwinden in Istanbul wissen die deutschen Behörden nichts. „Wir sind nur zuständig bis zur Grenze, und die ist im Flughafen“, heißt es vom Bundesgrenzschutz auf dem Hannoveraner Flughafen. „Was in der Türkei geschieht, entzieht sich unserer Kenntnis.“ Auch von einem brutal gestoppten Fluchtversuch in letzter Minute aus dem Flugzeug durch einen von zwei Mitgefangenen Sarikayalars, von dem die Flüchtlingshelfer berichten, weiß man beim BGS nichts. Auch beim niedersächsischen Innenministerium hört man von dem Fall zum ersten Mal. „Das muß geklärt werden“, meint Pressesprecher Michael Knaps, „wir werden über das Auswärtige Amt die deutsche Botschaft bitten, sich um das Wohlergehen von Veysel Sarikayalar zu kümmern.“ Pech für den Abgeschobenen: Seine Heimat liegt nicht in einer der zehn kurdischen Provinzen, die offiziell als Notstandsgebiet gelten und in die Niedersachsen keine KurdInnen abschiebt, sondern etwa 50 Kilometer davon entfernt. Auch dort, so Ali Zahedi, herrsche aber das türkische Militär willkürlich über die Kurden. Und auch im Westen der Türkei sind nach Meinung des „Arbeitskreises Abschiebung“ KurdInnen der Verfolgung durch Militär, Polizei und Todesschwadrone ausgesetzt; türkische Menschenrechtsorganisationen berichten von 100 ungeklärten politischen Morden in diesem Jahr. Trotzdem beharrt das Innenministerium auf der Möglichkeit der „innerstaatlichen Fluchtalternative“ für KurdInnen in der Türkei: „Unsere Behörde sieht das so, neue Erkenntnisse, die diese Einschätzung ändern könnten, liegen uns nicht vor“, sagt Knaps.

Faires Verhalten bescheinigt Sarikayalars Emdener Anwalt, Heinz Höhn, den deutschen Behörden. „Sowohl die Außenstelle des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge in Oldenburg als auch das Verwaltungsgericht in Hannover haben mir in letzter Minute noch Gelegenheit gegeben, Beweise für eine drohende Verfolgung meines Mandanten vorzulegen. Das Foto, das ihn auf der Demonstration zeigt, ist unscharf und ungenau, mehr Beweise haben wir nicht liefern können.“

Den türkischen Behörden dagegen haben die Beweise für eine Verhaftung anscheinend ausgereicht. In den Abschiebeknast Emden schickte das Landeskriminalamt Niedersachsen an Veysel Sarikayalar fürsorglich ein Fax mit den Flugdaten seiner geplanten Abschiebung, damit er die türkischen Menschenrechtsorganisationen alarmieren konnte. „Das ist doch pervers“, findet Johanna Adickes vom Asylkreis Emden, die Sarikayalars Schicksal verfolgt: „In einen Staat, wo man bei seiner Ankunft zum Schutz Menschenrechtsorganisationen mobilisieren muß, kann man doch eigentlich keine Menschen abschieben.“ bpo