: Opposition moniert den „Wahlbetrug“
Glückwünsche für die „sauberen Wahlen“ in Mexiko / Die Wahlbeobachter halten sich noch zurück / Auf Beweise für den Betrugsvorwurf mögen die Verlierer nicht warten ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Hufschmid
Ein Tag wie jeder andere: Weder wurden Bargeld oder Lebensmittel knapp, noch unterbrachen – wie viele befürchtet hatten – Straßenblockaden oder Sabotageakte den Alltag der 20-Millionen-Metropole Mexiko-Stadt. Für die meisten ihrer BewohnerInnen war der 22. August, der Tag nach den als „historisch“ gehandelten Präsidentschaftswahlen, eine Rückkehr zum business as usual, auf mexikanisch más de lo mismo, mehr vom selben. Denn schließlich ist der überraschend deutliche Wahlvorsprung des Kandidaten der herrschenden PRI, Ernesto Zedillo, der sich am zweiten Tag der vorläufigen Hochrechnungen bei 48 Prozent einpendelte, nichts Neues für die MexikanerInnen.
Neu ist lediglich der saubere Ruf, den das mexikanische Wahlprozedere zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten genießt. Zwar behalten sich diverse OppositionspolitikerInnen und Beobachtergruppen wie „Alianza Cívica“ ein Urteil über die Wahlqualität zunächst noch vor, da die gemeldeten Beschwerden und Unregelmäßigkeiten noch ausgewertet und quantifiziert werden müssen. Dennoch hagelt es schon jetzt Glückwunschtelegramme aus dem In- und Ausland für die „unanfechtbaren“ Sonntagswahlen. Vor allem für Börse und Investoren ist die Welt wieder in Ordnung, die Privatwirtschaft zeigt sich zufrieden über die „Stabilität“, für die sich das Wahlvolk entschieden hätte.
Auch ohne die übliche absolute Mehrheit kann Zedillo wie gehabt allein die Geschicke des Landes lenken: Ob das Angebot einer „pluralen Regierung“ mehr als eine rhetorische Goodwill-Geste ist, vor allem in Richtung der konservativen PAN, bleibt abzuwarten.
Alles andere als in Ordnung ist dagegen die Stimmungslage bei den mutmaßlichen Verlierern. Die mageren 16 Prozent, die das Bundeswahlinstitut bislang der linksliberalen PRD zuschreibt, stehen in einem verblüffenden Kontrast vor allem zu der Hochstimmung vor einer Woche, als Cuauhtémoc Cárdenas auf dem riesigen Hauptplatz im Stadtzentrum, dem Zocalo, vor Hunderttausenden siegesgewiß seine Wahlkampagne abgeschlossen hatte.
Dort fanden sich auch am Montag mittag wieder viele tausend von PRD-AnhängerInnen ein: diesmal, um gegen den „Wahlbetrug“ und „weitere sechs Jahre eine illegitime PRI-Regierung“ – so Cárdenas – zu protestieren. Vor der aufgebrachten Menge, die immer wieder „No pasarán“ schrie und die Finger zum „V“ spreizte, ermahnte der Kandidat, „kühlen Kopf“ zu bewahren und nicht auf Provokationen zu reagieren. Im Unterschied zu 1988, als nach Ansicht vieler MexikanerInnen Cárdenas und nicht Salinas die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, erklärte sich dieser diesmal noch nicht zum Wahlsieger. Daß es einen „unglaublichen Betrug am mexikanischen Volk“ gegeben habe, steht für den PRD-Kandidaten und seine Mannschaft allerdings schon jetzt fest. Am kommenden Samstag will man sich wieder auf dem Zocalo vor dem Regierungspalast treffen.
Am Montag nachmittag hatte die Nationale Demokratische Konvention (CND), die als oppositionelle Koordination vor zwei Wochen im zapatistischen Regenwald aus der Taufe gehoben worden war, zu einem Treffen in der Universität aufgerufen: Heiß diskutiert wurden nächste Aktionen gegen den „Wahlbetrug“, der auch für viele CND-TeilnehmerInnen offensichtlich außer Frage steht. So soll am nächsten Mittwoch auf Vorschlag von „Superbarrio“, dem maskierten Helden der städtischen Volksbewegungen, der immer wieder mit symbolischen Aktionen populäre Meinungen auf den Punkt bringt, ein symbolisches „Volkstribunal“ gegen die „Verantwortlichen der Wahlfälschung“ vor den Türen des Bundeswahlinstituts stattfinden.
Der Hinweis von „Superbarrio“, daß man sich jetzt vor allem darauf konzentrieren müsse, den Betrug auch wirklich zu beweisen, ging dabei allerdings etwas unter. Nicht viel anders erging es dem schüchternen Vorschlag, die tieferen Gründe für die Wahlschlappe – über den zu denunzierenden Betrug hinaus – zu analysieren.
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