: Mehr oder weniger süß
Ein paar Häppchen Leben: Ben Stillers „Reality Bites“ ■ Von Anke Westphal
Das Gesetz der Moden schreibt eigentlich vor, daß sich Trends flink überleben, nur die Generation X hält sich zäh wie ein altes Rindersteak. Bis zum Abwinken ist alles über sie gesagt, analytisch- intellektuell oder easy-populär. Die New York Times, Spex und der Spiegel haben sich an ihr die Federn stumpf geschrieben, und sogar das „Foküschen“ hechelte hinterher. Douglas Coupland ist der Re-Erfinder der Generation X und somit schuld an allem. Man hatte gar keine Lust mehr, sein neuestes Buch „Shampoo Planet“ zu lesen, das eigentlich nur sein zweitneuestes ist. In Amerika liest sowieso schon alles das ganz ganz neue, „Life after God“. Wer weiß, wann dasselbe den Stoff für Direktmarketing via Film gibt, denn die Generation X scheint ja immer noch nicht vollständig ausgelutscht, wie man auch den ollen Grunge einfach nicht in die wohlverdiente Rente gehen läßt. Dieses Mal also Ben Stiller mit seinem Regie- Debüt „Reality Bites“, das schon vorab durch den deutschen Verleihtitel „Voll das Leben“ abgestraft wurde.
Man lehne sich dennoch entspannt zurück, denn die Sache ist trotz Winona Ryder so schlimm nicht, ja sogar lustig, launig, unterhaltsam. Wenn die Frau nur nicht immer so expansiv agieren würde, als wolle sie alle anderen Beteiligten mit Macht von der Leinwand drücken. Genug gemurrt, es geht um typische Mittzwanziger-Probleme, die natürlich auch nicht neu, aber immerhin ewig wiederkehrend sind.
Vier „junge Menschen“ wollen sich nicht vom ewigen Nicht-Ankommen vernaschen lassen, sondern suchen wider Rezessionsprognosen ihren Platz im Leben. Die Realität „beißt“, wie es im amerikanischen Original so treffend heißt, und sie beißt mitunter ziemlich heftig zu; auch gibt es immer nur Häppchen derselben, jedenfalls von der, die süß schmeckt.
Die vier Freunde Lelaina, Troy, Vickie und Sammy sind stolz diplomierte College-Absolventen, sogar mit Jobs, die sie aber bald wieder einbüßen werden. Vorerst sitzen sie auf einem Hochhaus in Houston.
Die Welt liegt ihnen quasi zu Füßen, und das Leben umgaukelt sie mit einer Fülle von Wünschen, Begriffen und mehr oder minder süßen und sauren Tatsächlichkeiten, mit Liebe, Kreditkarten, Fahrrad, Beziehungen oder einfach Safer Sex. Es sind original die Elemente, die Coupland in seinem „Shampoo Planet“-Periodensystem der Elemente für die Jugend der Neunziger fixiert hat. Die Differenz zwischen Ambitionen und tatsächlich Machbarem, zwischen Arbeitsmöglichkeiten, Anpassung, verpönter Verantwortung und dem „vollen Leben“ grundiert das Lebensgefühl der vier. Die Stunden, die mit MTV vollgelärmt, an Telefonen verplappert, in der WG rumgestritten, zwischen Aids- Tests verwartet und mit lustig wechselnden Lovern verturnt werden, finden kein verläßliches Gerüst in praktizierbaren Antworten auf die Fragen des Alltags, der immer wieder wenigstens halbwegs mit Sinn gefüllt werden will.
Das klingt hinkelsteinschwer, ist aber von Regisseur Ben Stiller, der selbst den Yuppie-Prinzen Michael mimt und als solcher Lelaina/ Ryder verehrt, mit leichter Hand, in Hopp-Hopp-Tempo dahingeworfen wie ein hübsch nahrhaftes Videoclip-Klecksbild. Produziert hat der kleine Dicke aus dem „Rosenkrieg“, Danny DeVito. „Reality Bites“ ist sicher kein Epochenwerk, aber so was wie fragmentarisch, praktisch, gut. Es verliert mitunter seinen Faden aus dem Blick und schwört am Ende gar zu dick auf das Allheilmittel gegen Rheuma, Küchenschaben und Arbeitslosigkeit, nämlich die Liebe.
Sehr angetan darf man von Ethan Hawke („Der Club der toten Dichter“) sein, der einen Bindungsautisten und Grunger (er singt selbst, no comment) auf der Suche nach „irgendwas, irgendwo“ gibt. „Irgendwo“ muß Normal-Xanadu doch liegen. Auch wenn die möchte-Filmerin-sein Lelaina ihren Job verliert, weil sie versehentlich einem eitlen Show-Master aufs Hemdchen latscht, aber wie eine Besessene mit ihrer Videokamera durchs Bild rennt, dann agiert sie eine diffuse Sehnsucht nach Beständigkeit, nach Festhalten aus. Selbst Vickies Mc-Job als Verkäuferin ist nicht gerade der Hit. Erfolg definiert sich für die Generation X (schluck!) bescheidener: akzeptabel, ja bequem Überleben ist ein Privileg. Die Krücken dazu dürfen auch mal Wegwerfware sein. Das kommt einem bekannt vor; das hat man so oder so ähnlich schon mal selbst erlebt, und es ermutigt, daß es anderen nicht anders geht. Nichts so schlimm, daß es nur ein Film ist und die Kunst einfach das Leben imitiert. Die Realität beißt – man beiße grimmig lachend zurück.
„Voll das Leben“, USA 1994, R: Ben Stiller, mit Winona Ryder, Ethan Hawke, Janeane Garofalo, Steve Zahn, Ben Stiller, 99 Min.
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