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Die Bombe und der Machtkampf in Pakistan

■ Oppositionspolitiker Nawaz Sharif bringt die Regierung in Bedrängnis

Delhi (taz) – Pakistans Ex-Premierminister Nawaz Sharif bekräftigte gestern, daß sein Land Atomwaffen besitzt. Er habe verhindern wollen, daß Regierungschefin Benazir Bhutto das Atomprogramm auf Druck der USA reduziert, sagte Sharif nach Berichten pakistanischer Zeitungen.

Sharifs Äußerung markiert einen Bruch mit der bisherigen Haltung aller Politiker des Landes, das eigene Volk, aber auch das Ausland im Ungewissen über die Natur des Nuklearprogramms zu lassen. Erstmals sagte ein hochrangiger Politiker so offen, daß Pakistan „die Bombe“ hat. Bislang hat man höchstens von der Fähigkeit zur Entwicklung von Atomwaffen gesprochen.

Die offizielle Versicherung aller bisherigen Regierungen, Pakistan verfolge ein „friedliches“ Nuklearprogramm, wurde allerdings immer unglaubwürdiger. 1990 befanden es auch die USA nicht mehr für nötig, dieser Version Glauben zu schenken, und stellten jede Militär- und Wirtschaftshilfe ein. Daraufhin bequemte sich die damalige Regierung von Sharif zum Eingeständnis, Pakistan habe zwar ein Atomwaffenprogramm verfolgt, dieses aber auf dem Stand von 1990 eingefroren.

Der bereits stark angeschlagenen Glaubwürdigkeit von Pakistans Atomprogramm – das laut amerikanischen Experten viel weiter fortgeschritten ist als jenes von Nordkorea – hat Sharif nun einen weiteren Stoß versetzt. Er kommt nur einige Tage, nachdem Pakistan wegen angeblicher Käufe von russischem Plutonium ins Gerede gekommen ist.

Offensichtlich wollte Sharif die Regierung von Benazir Bhutto in eine peinliche Lage bringen. Beide Kontrahenten befinden sich seit Monaten auf dem Kriegspfad. Während der Oppositionspolitiker bisher ohne großen Erfolg die parlamentarische Arbeit zu blockieren versuchte, hat Benazir Bhutto eine Reihe von gerichtlichen Untersuchungen in die Wege geleitet. Sie zielen darauf ab, Sharif des Amtsmißbrauchs zugusten seines Industrieunternehmens zu überführen.

Sharifs Äußerungen können der Regierung außen- wie innenpolitisch schaden. Benazir Bhutto versucht seit Monaten, die USA zu einer Revision ihres Boykotts amerikanischer Wirtschafts- und Militärhilfe zu bewegen; gerüchteweise wären im Gegenzug den Amerikanern informelle Kontrollen zugestanden worden, die den „Gefrierzustand“ des Atomwaffenprogramms garantiert hätten. Ein derartiges Arrangement ist nun unmöglich geworden.

Die Ortswahl bei Sharifs Rede weist auf die innenpolitische Spitze seiner Äußerung hin. Sie fiel bei einer Kundgebung im pakistanischen Teil Kaschmirs, nur eine Woche, nachdem Frau Bhutto dort den Schwur ihres Vaters Zulfiqar Bhutto wiederholt hatte, wenn nötig einen „Tausendjährigen Krieg“ zu führen, um Kaschmir zu befreien. Sharif versuchte, Bhutto in seiner Unterstützung des „gerechten Kampfes des kaschmirischen Volkes“ noch zu übertrumpfen. Er stellte die Entwicklung der A-Bombe als seine Leistung dar und als eine wichtige Sicherheit Pakistans im Kampf gegen Indien. In den Händen Benazirs sei sie jedoch eine akute Bedrohung für einen „nuklearen Holocaust im Subkontinent“.

Sharifs Enthüllung zur Atombombe bricht einen Konsensus, der seit zwanzig Jahren über Parteigrenzen hinweg eingehalten wurde, nämlich die Behauptung der „nuklearen Ambiguität“, die Freund und Feind im Ungewissen lassen sollte, wo Pakistan nuklearpolitisch und -technisch steht. Benazir Bhutto läßt sich denn auch Zeit, auf diesen direkten Angriff auf ihre Person, ihre Politik und den Bruch dieses Stratagems zu reagieren. Dafür ging ihr Außenminister mit scharfen Dementis an die Öffentlichkeit, und er fand harte Worte für den Mann selber, der offenbar sogar vitale Interessen des Staates aufs Spiel setze, wenn er dadurch seiner Widersacherin schaden könne.

Daß sie damit nicht ganz unrecht haben, zeigen die indischen Reaktionen. In der Öffentlichkeit wurde der Ausspruch beinahe mit Befriedigung registriert: Indien habe seit Jahren auf die gefährliche Natur von Pakistans Nuklearprogramm hingewiesen, ohne daß der Westen davon Kenntnis nehmen wollte. Für Außenminister Salman Khurshid bot die Äußerung die Gelegenheit, Indiens Politik dagegenzuhalten: Sein Land, behauptete er im Fernsehen, habe schon 1974, nach der Zündung seiner ersten Bombe, auf ein nukleares Waffenprogramm verzichtet.

Nawaz Sharif seinerseits zeigte sich unbeeindruckt von der politischen Bombe, die er am Dienstag gezündet hatte. Es gibt allerdings eine Institution, die ihn zu einer Änderung seiner Aussage zwingen könnte: die Streitkräfte, die das Nuklearprogramm auch unter den demokratischen Regierungen weiterhin fest in ihren Händen behielten. Von ihnen liegt bis zur Stunde keine Stellungnahme vor. Bernard Imhasly

Kommentar Seite 10

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