: „Kein Leben ohne Korruption“
■ Freude und Katerstimmung über PRI-Vorsprung in Mexiko
Mexiko (taz) – Der Schatten des Zweifels hängt noch immer über den mexikanischen Wahlen. Während sich die wiedergewählte Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) für ihre neugewonnene Legitimität feiern läßt, beharrt die Beobachterinitiative Alianza Civica darauf, daß der Wahlablauf „weder sauber noch transparent“ gewesen sei, wie ihr Koordinator Luis Nava betonte.
Alianza-BeobachterInnen hatten die „alten Praktiken“ wiederentdeckt: das Wahlgeheimnis wurde verletzt und Wahlscheine offensichtlich unter Druck ausgefüllt. In den Städten konnten viele WählerInnen gar nicht erst abstimmen, weil sie nicht registriert waren – beobachtet bei immerhin 65 Prozent der 1.800 Wahllokale der Alianza-Stichprobe.
Grundsätzliche Zweifel an den Wählerpräferenzen hegt die Bürgerallianz allerdings nicht. Aller Voraussicht nach wird die PRI die 50-Prozent-Hürde überspringen. Auch die Hoffnung auf ein Gegengewicht im Abgeordnetenhaus hat sich zerschlagen: von den 300 Direktmandaten werden gerade mal 17 auf die rechte Nationale Aktion (PAN) und ganze 5 auf die linke PRD entfallen.
Der mutmaßliche Triumph des PRI-Präsidentschaftskandidaten Ernesto Zedillo hat nach Ansicht seines Rivalen von der PRD, Cuauhtémoc Cárdenas, der noch nicht aufgeben will, „keinerlei demokratische Legitimität“. Er schätzt, daß 8 bis 9 Millionen WählerInnen an der Stimmabgabe gehindert wurden.
Unter den Intellektuellen und KünstlerInnen des Landes, die mehrheitlich auf die „Wende“ gesetzt hatten, macht sich Enttäuschung und Ratlosigkeit und sogar Zynismus breit: „Was sollen wir machen, wir haben uns eben so an die Korruption gewöhnt, daß wir ohne sie nicht mehr leben können“, bringt die Sängerin Astrid die allgemeine Katerstimmung auf den Punkt. Und die Schriftstellerin Elena Poniatowska bedauert: „Eine historische Chance wurde verpaßt.“ Einer der ersten, die sich in diesen Tagen an eine Erklärung wagen für „das, was hier wirklich passiert ist, und nicht das, was wir uns gewünscht hätten“, ist der Politologe Alberto Aziz Nassif. Als „umgekehrtes Nicaragua-Syndrom“ bezeichnet dieser das Wahlergebnis: „In Nicaragua gab es eine ideologische und emotionale Nähe zur Revolution, aber die Kosten des Krieges waren den Leuten zu hoch, als daß sie mit der gleichen Option weitergemacht hätten. Hier haben die Menschen möglicherweise durchaus Lust auf eine Wende gehabt, aber das, was dieses Jahr passiert ist, hat gezeigt, daß die Kosten für eine Wende zu hoch scheinen.“
Für seinen Kollegen Lorenzo Meyer aber gibt es kein Zurück zum business as usual. In einem Fernsehinterview warnt er: „Auch mit einem PRI-Sieg muß klar sein, daß das Regime des Präsidentialismus auf jeden Fall vorbei ist.“ Anne Huffschmid
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