: Palästinensische Schulen in Palästinenserhand
■ Die Autonomie in der von Israel besetzten Westbank wird ausgeweitet
Tel Aviv (taz) – „Heute ist der wirkliche Anfang der Umsetzung des Friedensabkommens in der Westbank“, erklärte der palästinensische Chefunterhändler Nabil Schaath in der Nacht auf Donnerstag in Kairo. Zuvor hatten sich Palästinenser und Israelis in einem Fünf-Sterne-Hotel auf ein Abkommen geeinigt, dem zufolge den Palästinensern Teile der zivilen Selbstverwaltung der Westbank übertragen werden sollen. Wenn nichts dazwischen kommt, werden der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin und der Chef der palästinensischen Selbstverwaltung Jassir Arafat das sogenannte „Early Empowerment Abkommen“ am Montag an der Grenze zwischen Israel und dem Gaza- Streifen unterzeichnen.
Laut Abkommen übernehmen die Palästinenser fünf von insgesamt über 30 Verwaltungsressorts. Dabei handelt es sich um die Bereiche Steuern, Sozialfürsorge, Tourismus, Erziehungs- und Gesundheitswesen. Von der Regelung ausgeschlossen ist der Großraum Jerusalem, also auch der gesamte Ostteil der Stadt, der seit der israelischen Annexion weit in die Westbank expandiert ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind israelische Siedlungen und Militäreinrichtungen in der Westbank.
Der Beginn der Übergabe der Ressorts wird davon abhängig gemacht, daß die Palästinenser die für die anfängliche Finanzierung erforderlichen 30 bis 40 Millionen US-Dollar durch ausländische Spenden aufbringen können. Über einen Zeitplan soll am 12. September verhandelt werden. Einzige Ausnahme bildet das Erziehungsressort. Israel hat sich bereit erklärt, die dafür benötigten Auslagen vorzustrecken. Bereits am Mittwoch übernahmen die palästinensischen Behörden in Ramallah die Verwaltung des Erziehungswesens. Gestern morgen übergab eine israelische Delegation in Nablus, der größten Stadt der Westbank, die dortigen Schulen an die Palästinenser. Noch vor Beginn des neuen Schuljahres am 1. September sollen alle Schulen in der Westbank in palästinensischer Hand sein.
Die Übergabe von zivilen Vollmachten in der Westbank an die Palästinenser ist bereits in dem vor fast einem Jahr unterzeichneten „Gaza-Jericho-Abkommen“ vorgesehen. Die Palästinenser haben demnach das Recht, bestehende Vorschriften zu ändern, – allerdings nur mit israelischer Zustimmung. Mit Inkrafttreten des Abkommens werden in den meisten besetzten Teilen der Westbank zwei Verwaltungen existieren: eine israelische Zivil- und Militärverwaltung sowie eine teilweise palästinensische Zivilverwaltung.
Shaath betonte in Kairo, daß die Palästinenser auf israelische Hilfe angewiesen seien, insbesondere beim Eintreiben von Steuern. Die palästinensische Verwaltung scheint das bisherige israelische Steuersystem inklusive des dazugehörigen israelischen Computerprogramms unverändert übernehmen zu wollen.
Der israelische Verhandlungsleiter, General Danny Rothschild, erklärte nach seiner Rückkehr aus Kairo: „Israel hat zwar einige Verantwortungsbereiche an die Palästinenser abgegeben, behält jedoch die tätsächliche Herrschaft in den Gebieten. Möglicherweise werden weitere Bereiche übergeben, aber Israel wird auf jeden Fall in allen Bereichen die entscheidende Instanz bleiben.“
Mit Ausnahme der Steuerbehörde wird das Personal der einzelnen Verwaltungsbehörden in der Westbank seit langem weitgehend von Palästinensern gestellt. Nur die leitenden Positionen wurden von israelischen Beamten des Verteidigungsministeriums besetzt. Beobachter sind der Ansicht, daß Jassir Arafat als Chef der Autonomieverwaltung die Neuregelung zu weitgehenden personellen Veränderungen nutzen wird. Allgemein wird angenommen, daß er oppositionelle Palästinenser und die in der Westbank starke sogenannte pro-jordanische Elite schassen und die freiwerdenden Posten mit ihm ergebenem Personal besetzen wird. Amos Wollin
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