: Mit einer gewissen Diskretion
Astrid Högner und Cyrill Tobias dokumentieren Orte der Roten Armee in Potsdam ■ Von Gudrun Holz
Nach knapp fünfzig Jahren ostdeutscher Besatzungsgeschichte stehen sie leer, als ein fleddriges Mahnmal mit unsicherer Zukunft: die Kasernen, Krankenhäuser, Klubräume und Gefängnisse der ehemaligen Roten Armee. Im Juli 1994 wurden die meisten Gebäude an das Bundesvermögensamt der Bundesrepublik übergeben. Nun ist die letzte Militärparade absolviert, und der vollständige Abzug in diesem Monat schließt ein weiteres Kapitel Nachkriegsgeschichte zumindest äußerlich ab. Übrig bleiben die Bauwerke, deren Geschichte allerdings bis weit vor den Ersten Weltkrieg zurückreicht. Von den Heeren des Soldatenkönigs bis zu denen Hitlers – in diesen Räumen, auf diesen Plätzen übten und exerzierten sie ihr Handwerk.
Aus über hundert Fotos hat Astrid Högner zwanzig Einzelbilder zu Szenen einer fotografischen Novelle zusammengestellt, die Schritte einer Recherche erzählen: Die Fotografin betritt Schlafsäle, Aufgänge und Stuben mit einer gewissen Diskretion. Innehaltend sucht sie ihren Standort meist knapp hinter der Türschwelle. Den Aufnahmen läßt dies eine große perspektivische Weite. Im quadratischen Format wirken die menschenleeren Räumlichkeiten zusätzlich gedehnt – zu einer Bühne, auf der die Figuren eigentlich jeden Moment erscheinen müssen.
Aber im Gegenteil, die Stuben scheinen jäh verlassen: Tisch, Stuhl und Teller einer letzten Mahlzeit, matratzenlose Bettgestelle, verirrte Drahtbügel, ein verwaister Fußball sind die spärlichen unpersönlichen Überreste. Wo selbst diese fehlen, die Räume entweder zerlegt oder Mobiliar und Installationen bis auf Scheuerstellen an den Wänden entfernt sind, streunt die Interpretation im Reich der Mutmaßung. Zusätzlich ergibt sich aus der nuancenreichen und eindrücklichen Farbigkeit der Fotos eine atmosphärische Vielschichtigkeit – um so mehr dort, wo sich in der Schlichtheit der Aufnahmen Architekturstudien als Leitmotiv der Serie erkennen lassen.
„Meine letzten Arbeiten waren Industriefotografie und Schlösser“, kommentiert Astrid Högner ihre aktuelle Arbeit. „Das hat insofern mit diesem Projekt zu tun, als ich von Räumen ausgegangen bin. Architektur ist ein Grundthema bei mir. Es geht dabei um die Geschichte im Raum.“
Von der atmosphärischen Intensität der Bilder schwenkt der Eindruck also unvermeidlich zu Vermutungen über den jeweiligen Zweck der Räume. Markant sind dabei nicht allein die Insignien einer Männerwelt oder die Zweckkonformität der Bauweise, sondern die Kultur der Russen darin. Ein in aparten Blau- und Ockertönen gekachelter und gemauerter Duschsaal entfaltet seine ganze abstrakte Schönheit, nähert sich optisch einem Vexierbild, das bei längerer Betrachtung in Dunst und Lendentücher gehüllte Gestalten hinzuassoziieren läßt. Eine säuberlich aufgestellte Reihe derber Militärstiefel scheint in ihrer symbolischen Kraft blaß geworden zu sein, wie der rote Stern der ruhmreichen Armee, der in gigantischer Größe die Wand einer Sporthalle schmückt.
Die „Geschichte im Raum“ wird bei Cyrill Thomas verwandelt in die wohlgeordnete, arrangierte Skulptur. Aus einförmigen Fundstücken, den alleralltäglichsten Gebrauchsgegenständen, formiert er vielfältige Objekte. Das Material bilden Hunderte von emaillierten Henkelbechern, aufgelesen beim stöbernden Gang durch die verwaisten Gebäude und die brachliegende Umgebung. Die Emailbecher genügen hier als Ausweis früherer lebendiger Nutzung, ihr Wert ist jetzt der flüchtige eines Überbleibsels. Der konkrete Gegenstand Tasse wird zum Indiz, das Indiz freigegeben der künstlerischen Deutung.
Cyrill Thomas fädelt sie auf, die weißen Tassen mit den großen schwarzen abgestoßenen Flecken: vasenförmige, geschwungene Drahtgestelle sind entstanden, über und über behängt mit uniformen Bechern, einzelne noch mit blumig-lyrischem Dekor. Auf einen Stab gefädelt, wirken sie als Ganzes wie ein üppiger Baum, behängt mit phantastischen, schalenförmigen Früchten. Der Künstler spielt nicht mit den Aspekten von Gebrauch oder Nostalgie, eher buchstabiert er seine Grundform in Variationen durch.
So werden einzelne Tassen akkurat angeschnitten wie eine Torte, beide Elemente auf hohen Stäbchen balancierend wie Stabmarionetten. In wieder anderen Arrangements richten sich die zerschnittenen, verschweißten Tassen auf in die Lüfte zu einer schwungvollen Arabeske oder bilden ein paradoxes, weil unbewegliches Mobile. Müßig zu erwägen, welcher Soldat X wann und in was für einer Gemütsverfassung daraus trank – wo doch Kasernenleben international so individuell wie eine Blechtasse ist. Der Henkelbecher des sowjetischen Besatzungssoldaten jedenfalls hat einen weiten Weg hinter sich gebracht, aber – nix trinken, nix Wodka, nix Samowar – jetzt gehört er der Kunst. Bleibt die Frage, was eigentlich Tasse auf russisch heißt.
So stellt sich die zweiteilige Ausstellung in Potsdam umfassenderen Fragen als nur der Wahrnehmung des einzelnen Objektes. Die Fotografin Högner wie der Installationskünstler Tobias geben ihren eigenwilligen, zumeist präzisen Kommentar zu dem Ort und den Geschichts- und Nutzungsspuren ab, die sie vorfanden.
Bis 23.9., im Bundesvermögensamt Potsdam, Mo./Mi./Do. 8–16, Di. 8–17.30, Fr. 8–13.30 Uhr, Berliner Straße 98–101.
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