: Paddeln, Puhdys und Pißmieren
Auf der Mecklenburger und Märkischen Seenplatte tummeln sich bei gutem Wetter Tausende von Wasserwanderern – auf Kosten der Natur ■ Von Christine Berger
„Im Norden von Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg (und schließlich darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie und da mit ein paar alten Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas und Teeröfen besetzte Waldung“
(Theodor Fontane
„Der Stechlin“)
Hitzeflimmern auf dem Fürstenberger Bahnhof. Die Aussicht auf jede Menge Wasser und Natur hat uns aus dem zwei Stunden Bahnfahrt entfernten Berlin in die nördlichste Ecke Brandenburgs flüchten lassen. Über hundert zum größten Teil miteinander verbundene Seen gibt es in dieser Region – ein riesiges Eldorado für Wasserwanderer. Wichtigster Wasserspender ist die Havel, die bei Kratzeburg hoch im Norden entspringt und in Form einer Reihe von Seen und Kanälen gen Berlin plätschert. Wälder, Sümpfe und Moore mit einer vielfältigen Flora und Fauna erstrecken sich üppig zwischen den Gewässern, und selbst die selten gewordenen See- und Fischadler sind hier noch zu Hause. Die Gegend ist wenig besiedelt. Dafür fahren hier im Sommer Zigtausende Touristen ihre Boote spazieren. Die umweltfreundlichste Reiseart auf der Seenplatte ist immer noch das Kanu. Auch wir setzen für eine Woche auf Muskelkraft und Isomatte.
Auf dem Weg zum Bootsverleih drohen uns auf dem Fürstenberger Bahnhofsvorplatz Plakate mit der Ankündigung: „Die Puhdys kommen!“. Genau neben dem lauschigen Campingplatz am Röblinsee, wo wir an diesem Abend unser Zelt im Boden verankern wollten, geben sich die ehemaligen DDR- Rockröhren die Ehre. Alle Eintrittskarten seien verkauft, verrät die Dame vom Fürstenberger Fremdenverkehrsamt, die schräg gegenüber vom Bahnhof in einer Art Kiosk haust. Open-air-Konzerte gibt es in der brandenburgischen Provinz nicht alle Tage, und wenn die Puhdys ihr 25jähriges Bühnenjubliäum feiern, ist halb Fürstenberg auf den Beinen, um sich bei Bratwurst und „Alt wie ein Baum“-Gegröle zu amüsieren.
Ohne uns. So schnell die verweichlichten Großstädtermuskeln es zulassen, paddeln wir mit unserem grünen Canadier namens „Dagger“ aus der Stadt. Auf der Flucht vor der Ost-Rocklegende landen wir schließlich 9 Kilometer weiter und drei Wasserflaschen ärmer auf dem Zeltplatz in Groß Menow. Die Anzahl an Paddelbooten, die dort vor Anker liegt, ist beeindruckend. Mindestens 40 Boote lassen uns zum ersten Mal erahnen, daß wir mit der Idee, ein paar Tage Natur auf dem Wasserweg zu erfahren, nicht alleine sind. Vor jedem Igluzelt — andere Kleinzelte gibt's ja kaum noch — liegt mindestens ein Paddel. Schlauch- und Motorboote sind dagegen eher Sache der Dauercamper.
Jürgen und Ingrid aus dem Wohnwagen nebenan machen schon seit 30 Jahren am gleichen Fleck Ferien. Sie besitzen einen kleinen Flitzer unten am Steg und fahren damit regelmäßig einmal am Tag spazieren oder einkaufen. Ansonsten sitzen sie tagaus, tagein auf geblümten Klappsesseln in ihrem eingezäunten Campingdomizil, verleihen hier mal einen Gummihammer, dort mal einen Tischgrill an die durchreisenden Paddler und trinken ansonsten Cognac mit den Stammurlaubern des Platzes. Ingrid, die mit den überwiegend jungen Wasserwanderern auch gerne mal ein Schwätzchen hält, erzählt, daß früher die Versorgung mit Lebensmitteln oftmals so schlecht war, daß „wir Kartoffeln vom Acker klauen mußten“.
Da blieb, um das Mittagessen zu organisieren, oft nichts anderes übrig, als die Angel auszuwerfen, denn Fische gab es in den vielen Seen schon immer reichlich. Genauso wie Ameisen, die unser Zelt zusammen mit einer Invasion von Mücken gleich in der ersten Nacht stürmen wollen. Ameisen, so lese ich später in einem märkischen Heimatführer, wurden früher in der Region auch Pißmieren genannt. Laut gebrüllt, läßt sich mit diesem Ausdruck prima fluchen.
Daß sich hinsichtlich der Lebensmittelknappheit so viel nicht geändert hat, wird uns spätestens am nächsten Tag klar. Außer Wasser und Bier hat Groß Menow an Nahrungsmitteln nichts zu bieten. Auf nüchternen Magen paddeln wir bis zum nächsten Supermarkt in zehn Kilometer Entfernung. Motorisierte Urlauber, und davon gibt es zu Wasser augenscheinlich eine ganze Menge, schleppen eine unglaubliche Menge an Vorräten mit sich, natürlich importiert vom heimischen Billigmarkt. Die ehemaligen HO-Märkte in den wenigen Dörfern zwischen den Seen sind wegen fehlender Kaufkraft zum größten Teil geschlossen. Lebensmittel werden allenfalls noch im Gasthaus verkauft oder am Strandkiosk. Mangels Platz für größere Vorräte im Boot ist unsere Streckenplanung denn auch nachhaltig beeinflußt von den Einkaufstips der Zeltplatznachbarn.
Die Dichte der Motorboote auf den Wasserstraßen geht uns bald auf die Nerven. So steuern wir möglichst nur noch auf Seen zu, wo diese Stinker Fahrverbot haben. Einmal die Löffel ins Wasser fallen lassen und für eine Weile die Ruhe genießen. Plötzlich hört man das unermüdliche Summen der vielen Libellen, betrachtet andächtig Wasserlilien und Teichrosen, verfolgt staunend, wie leichtbeinig Wasserläufer über das Naß spazieren. Und hofft endlich, mal einen der berühmten Taumelkäfer zu sehen, die mit den vier Augen – zwei für das Glotzen über die Wasseroberfläche, zwei für unten. Doch plötzlich, rums, platsch, kicher — eine ganze Armada von Wanderpaddlern biegt um die Ecke. Aus ist es mit der Stille. Bedrohlich wie eine Horde Indianer kommt das Rudel näher. Verzweifelt ob des gestörten Zwiegesprächs mit der Natur stechen wir mit unserem Dagger in See. Bloß weg! Abstand gewinnen, am liebsten im Frühling wiederkommen oder im Spätherbst, dann, wenn nicht jeder Rastplatz am Ufer nach Scheiße stinkt.
Wir verlegen unser Interesse auf Gesellschaftsstudien. Der Mikrokosmos des Bootstourismus ist es allemal wert, unter die Lupe genommen zu werden. Warum zum Beispiel fahren alle weiblichen Paddler im Sommer mit nacktem Oberkörper, lassen ihren Busen in der Sonne baumeln und kümmern sich einen Dreck um die Gefahr von Hautkrebs? In den Schleusen, da wo sich zu Hochzeiten bis zu dreißig Kanus und Kajaks aneinanderquetschen, sind die Weichteile jenseits des Bauchnabels merkwürdigerweise wieder züchtig verhüllt. Ob das am Schleusenwärter liegt, dem man von oben den aufreizenden Blick auf zwei Dutzend Brüste ersparen will, oder an der kollektiven Keuschheit, die sich in der Masse Mensch entwickelt? Darüber läßt sich beim Gleiten über die spiegelglatten Seen prima philosophieren. Ebenso über die Hutmoden zu Wasser. Männliche Paddler mit Hängebäuchen tragen mit Vorliebe zerknautschte Baumwollhüte, Tropenhüte werden von Exkursionsliebhabern mit Fernrohr und Kompaß bevorzugt. Schleifchenverzierte Strohhüte überwiegen bei den Damen mit Mittfünfziger-Rubensröllchen, und jungdynamische Sportlernaturen halten sich mit Baseballcaps die Sonne vom Leib.
Über derlei Gedankenspiel sind ruck, zuck! zwanzig Kilometer bis zum nächsten Campingplatz gepaddelt. Der Gedanke, doch endlich einmal richtig wild zu zelten, wird immer wieder verworfen. Die meisten möglichen Plätze sind des Abends entweder schon besetzt oder riechen dermaßen nach menschlichen Exkrementen, daß einem ein schlechtgelaunter Platzwart und piefige Dauercamper als das geringere Übel erscheinen. Bis zu 30.000 Mark Strafe verlangen außerdem die Ordnungshüter, wenn man beim Zelten in freier Wildbahn erwischt wird. So erfreuen wir uns an unserer ecological correctness und machen das Beste draus: Motorisierten Rasern, die sich an kein Tempolimit halten, wünschen wir die nächste Radarfalle an den Hals, indem wir ihnen den internationalen „Fuck you“- Finger hinterherfuchteln.
Man ist ja schon froh, daß das Schilf am Ufer dem starken Wellenschlag der vielen Motorboote wie durch ein Wunder standhält. Die Zahmheit der meisten Wasservögel setzt einem (und den Brotvorräten!) mit der Zeit aber fast mehr zu als das ewige Schaukeln auf fremden Bugwellen. Schließlich paddeln wir ja nicht im Stadtpark, sondern in freier Natur. Deshalb kommt auch nicht so recht Freude auf, wenn Schwanenfamilien, Wasserhühnersippschaften und Entenküken uns bei jedem Picknick Gesellschaft leisten und auch schon mal böse zischen, wenn die Häppchen nicht prompt gereicht werden.
Dichte Wälder, sattes Grün und relativ sauberes Wasser umgeben die vielen tausend Boote auf den mecklenburgischen Seen, und dennoch riecht es faul. Nicht nur, daß das große Fischsterben wegen der 26 Grad Wassertemperatur begonnen hat, auch der Mensch stinkt. Auf den vielen Campingplätzen im Seengebiet ist im Hochsommer kaum noch ein Platz frei. Die meisten Urlauber putzen sich die Zähne im See, Waschräume sind selten. Michael Leimberg, Besitzer zweier Campingplätze am Rätzsee, hat Konzepte für eine umweltgerechte Modernisierung mit Solar- und Windenergie schon in der Tasche. „Aber die Kommune macht nicht mit“, grummelt er. Die Windmühlen, so die Bürgermei
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sterin im nahe gelegenen Mirow, verschandelten zu sehr die Landschaft. Eine Lobby für umweltgerechten Tourismus gibt es auch anderorts nicht. Jeder Tourist bringt Geld, ist die Devise der Gemeinden, und deshalb will man soviel wie möglich von ihnen haben.
„Vor zwei Jahren war alles noch viel schlimmer, da waren sämtliche Seepflanzen plattgemacht“, erzählt Peter vom Kanusportverein Wesenberg. „Mittlerweile haben sich die westlichen Skipper in dieser Ecke genügend ausgetobt, die wüten jetzt woanders.“ Aber nicht nur die PS-Heizer macht er für die Umweltschäden verantwortlich. Er ist dafür, daß nur noch Paddler, die im Deutschen Kanusportverband Mitglied sind, auf die Gewässer dürfen. „Dann wäre jedes Boot registriert, und Umweltsünder könnten besser verfolgt werden“, ist sein nicht ganz uneigennütziger Vorschlag.
Der Berliner Reiseveranstalter und Kanuverleih „Nordlicht“ hat dagegen einen einfacheren, aber dennoch effektiven Weg gefunden, um die Menschenmassen auf den Gewässern zu sensibilisieren. „Kanufahren mit Einsicht“ heißt ein Zehn-Punkte-Verhaltenskodex, der jedem Paddelkunden mit auf den Weg gegeben wird. Von der umweltgerechten Anfahrt zum Gewässer bis zur Abfallvermeidung haben die „Nordlichter“ darin alles aufgezählt, was ein einigermaßen naturverträgliches Wasserwandern ermöglicht.
Um selber mit gutem Beispiel voranzugehen, liegen die drei Kanuverleihstationen der Firma auf der Seenplatte so verkehrsgünstig, daß man sie problemlos mit Bahn oder Bus erreichen kann. „Auch die Zahl der Boote, die wir verleihen, bleibt aus Naturschutzgründen begrenzt“, meint Peter Alker, der die Nordlicht-Kanus in Fürstenberg betreut. Immerhin könnte er an manchen Tagen gut doppelt so viele Boote vermieten, aber eben das paßt nicht zur Öko- Philosophie des Kanuanbieters. Dafür schießen immer neue Verleihstationen mit immer mehr Kanus auf der Seenplatte aus dem Boden.
Solange die Seenkette von Wassersportlern und Geschäftemachern gleichermaßen wie ein Freizeitpark genutzt wird, bleibt einem in der Hochsaison eigentlich nur noch das Paddeln in der Nacht. Dann, wenn alle schlafen und nur der Mond über die Gewässer blinzelt, Sterne glitzern, Wasser plätschert, Eulen rufen, wünscht man sich, daß dieses wunderschöne Stück Land irgendwo ganz weit weg liegen möge...
Literaturtips:
Zu beziehen bei: Fachbuchhandlung für Geographie, Touristik und Sprachen, Schropp, Lauterstraße 14–15, 12159 Berlin,
Tel.: 030-8594911
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