: Bodenreform war irreversibel
■ Lothar de Maizière widerspricht der Version Michail Gorbatschows
Berlin (taz) – Die frühere Sowjetunion hat bei den Zwei-Plus- Vier-Verhandlungen die Forderung erhoben, daß die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgten Enteignungen unangetastet bleiben sollten. Mit dieser Erklärung widersprach der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, gestern Ausführungen des ehemaligen Präsidenten der UDSSR, Michail Gorbatschow, wonach ein Verbot der Restitution keine unerläßliche Bedingung der UDSSR bei den Verhandlungen gewesen sei.
Gorbatschow hatte dies auf Nachfrage des britischen Historikers Stone erklärt und damit am Wochenende für erhebliche Unruhe in Bonner Regierungskreisen gesorgt. Denn der sowjetische Wunsch nach Unantastbarkeit der zwischen 1945 und 1949 vorgenommenen Enteignungen war von seiten der Bundesregierung vorgebracht worden, als sie im Frühjahr 1991 vor dem Bundesverfassungsgericht die entsprechenden Regelungen des Einigungsvertrages verteidigte. Damals hatten mehrere im Rahmen der Bodenreform enteignete Alteigentümer auf Rückgabe ihres Großgrundbesitzes geklagt. Die Klage war abgelehnt worden, seitdem wurden jedoch immer wieder Zweifel an der Version der Bundesregierung laut.
Wie de Maizière gegenüber der taz erklärte, habe die Sowjetunion seinerzeit mehrfach in Gesprächen die Irreversibilität der Enteignungen gefordert. Dies sei auch dokumentiert. So habe ihm der damalige Botschafter der Sowjetunion, Wjatscheslaw Kotschemasow, unmittelbar nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten der DDR im März 1990 ein sogenanntes Non- paper überreicht, in dem die sowjetische Führung ihre Bedingungen für eine Zustimmung zur deutschen Einigung formulierte. „Dort war ausdrücklich die Irreversibilität aller Maßnahmen, die auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgt sind, festgeschrieben“, erklärte de Maizière. Ihm sei damals klar geworden, „daß die Sowjetunion nicht wollte, daß die gesamte Geschichte ihrer Besatzungszeit zwischen 1945 und 1949 nochmals aufgerollt wird“.
Die sowjetische Haltung sei beim ersten Besuch der DDR-Regierung in Moskau am 29.4.1990 wiederholt bekräftigt worden, „als der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse unserem Außenminister Markus Meckel ein Aidemémoire übergab, in dem ebenfalls die besatzungsrechtlichen Maßnahmen, insbesondere die Bodenfragen als irreversibel bezeichnet wurden“. Den Sowjets, so de Maizière weiter, sei es nicht nur darum gegangen, „daß die Legitimität ihrer damaligen Besatzungsmaßnahmen nicht nachträglich in Frage gestellt wird, sondern auch darum, daß diese nicht faktisch revidiert werden“.
Die Schilderung de Maizières wurde auch von dem früheren Botschafter der UDSSR in Bonn, Kwisinski, bestätigt. Bei den Zwei- Plus-Vier-Gesprächen habe er im Auftrag Gorbatschows bis zum Ende in dem Sinne verhandelt, die Ergebnisse der Bodenreform unantastbar zu machen. Außenminister Klaus Kinkel kündigte gestern an, daß sich die Bundesregierung mit Gorbatschows Äußerungen beschäftigen werde. Sie werde ihre Haltung jedoch nicht revidieren.
Zur Zeit wird im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz behandelt, das den Alteigentümern des Bodenreformlandes die Möglichkeit des Rückerwerbs ihrer ehemaligen Besitztümer einräumt. Eine Verabschiedung ist noch in dieser Legislaturperiode vorgesehen. Es ist nicht davon auszugehen, daß sie durch die Gorbatschow-Äußerungen verzögert wird. Dieter Rulff
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