piwik no script img

„Wie Tiere durch die Stadt gehetzt“

Haftstrafen ohne Bewährung im Magdeburger Himmelfahrts-Prozeß / Das Gericht nennt die Verurteilten Hooligans, deren Gewaltbereitschaft sich gegen jeden richten könne  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

Mit versteinerten Gesichtern und gesenkten Köpfen hörten sich die drei Angeklagten ihr Urteil an. Haftstrafen zwischen zwei Jahren, drei Monaten und drei Jahren verhängte das Landgericht gestern über drei Beteiligte an den ausländerfeindlichen Krawallen in Magdeburg am Himmelfahrtstag.

Bis zuletzt hatten zwei der drei Angeklagten hartnäckig geleugnet, überhaupt an den Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein. Lediglich Heiko K. bequemte sich im Verlauf des Prozesses zu einem Teilgeständnis. Zwei Stühle habe er geworfen, einen davon aber bloß in Notwehr. Der andere aber, so gab Heiko K. zu, sei „womöglich“ in die Scheibe der Marietta- Bar geflogen. Mehr habe er nicht gemacht. Und dabei blieb Heiko K., auch nachdem Zeugen seine Taten als erheblich umfangreicher geschildert hatten. Völlig sprachlos sah sich Heiko K. das beschlagnahmte Filmmaterial des Mitteldeutschen Rundfunks an, auf dem er als einer der Rädelsführer deutlich zu sehen und zu hören ist.

Dieses Filmmaterial wurde auch Carlo F. zum Verhängnis. Er hatte am zweiten Prozeßtag ein T- Shirt beim Richter abgegeben, das er am Himmelfahrtstag getragen haben will. Immer, wenn ein Zeuge ihn zwar als Täter identifizieren konnte, das T-Shirt aber nicht wiedererkannte, zog ein zufriedenes Grinsen über das Gesicht des Angeklagten. Die Schwierigkeiten der Zeugen mit dem T-Shirt klärten sich ebenfalls durch das Filmmaterial des MDR, das in einer Szene Carlo F. zeigt – mit einem ganz anderen Hemd.

Dennoch: er blieb dabei. Er sei nur zufällig nahe der Marietta-Bar gewesen und habe nichts gesehen, nichts gehört und schon gar nichts gemacht. Und was Hooligans sind, davon wollten die Angeklagten nicht einmal vom Hörensagen etwas wissen. Aber genau zu dieser Szene gehören sie. Das Gericht in seiner Urteilsbegründung: „Es sind Hooligans, deren Gewaltbereitschaft sich jederzeit gegen jedermann richten kann.“ Am Himmelfahrtstag war diese Gewalt gegen Ausländer aber gezielt und geplant. Denn die Hooligans hatten sich zwei Wochen zuvor bei einem Fußballspiel des FC Magdeburg durch Ausländer provoziert gefühlt. Die Polizei verhinderte aber, daß sie sich sofort auf diese Ausländer stürzen konnten. Fußball ohne Prügel, das war für die Angeklagten und ihre Kumpels eine Schmach, die getilgt werden wollte. Die ausländerfeindliche Menschenjagd, bei der, so der Richter Ludwig Fabricius, „Menschen wie Tiere durch die Stadt gehetzt wurden“, war als Rachefeldzug für die vermeintliche Schmach gezielt geplant. „Keiner von ihnen hat sich aus der Szene gelöst“, warf Fabricius den Angeklagten vor, auch wenn sie das Gegenteil beteuerten. Und die im Schlußwort zur Schau gestellte Reue der drei Angeklagten klang nur wenig glaubwürdig. Die Konsequenz: Urteile, die den Angeklagten sichtlich zu schlucken gaben.

Pfarrer zufrieden

Magdeburg (taz) – Pfarrer Jens- Martin Langner ist zufrieden mit dem Magdeburger Urteil. Er hatte mit dem Verein „Nachbarschaftliches Cracau-Prester“ Protokolle zusammengestellt, in denen die betroffenen Ausländer die Ereignisse geschildert haben. „Ich hoffe, das Urteil hat eine abschreckende Wirkung, damit so etwas nicht noch mal passiert“, sagte Langner der taz. Ob sich etwas im Kopf der Angeklagten verändert, wagt er zu bezweifeln. In einem früheren Prozeß hatte er die Beschuldigten persönlich erlebt und keine Reue erkennen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen