: Heute werden sie in Berlin verabschiedet: Die letzten Soldaten der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Die russische Präsenz geht zu Ende – die Soljanka und der Borscht sind noch da. Von Christian Semler und Anja Kaatz
Was bleibt von den „Freunden“?
„Von ihnen wird bleiben, der durch sie hindurchzieht, der Wind“ – Brechts Elegie auf die Behausungen der Städtebewohner könnte als Motto für die Schilderung dessen dienen, was künftig an die fast 50jährige Besatzungszeit der „Freunde“, korrekt der Westgruppe sowjetischer Streitkräfte in Deutschland, erinnern wird. Einen Tag vor dem Abzug der allerletzten Einheiten sind die Telefonleitungen ins Wünsdorfer Hauptquartier gekappt, und in der Karlshorster Militärmission meldet sich, so man Glück hat, ein Blumenladen. Schon werden die buntbemalten Zäune überstrichen und die Kaserneneingänge auf die ästhetischen Bedürfnisse der nachrückenden Bundeswehr zurechtgestutzt. Ohnehin beherbergten die meisten der Unterkünfte schon die Streitkräfte der Wehrmacht, wenn nicht gar des kaiserlichen Heeres. Die spartanischen Baracken aber, Neubauten der sowjetischen Ära, fallen der Spitzhacke zum Opfer.
Nichts würde in den Städten und Dörfern der verblichenen DDR an das „Wirken“ der Westgruppe gemahnen, wären da die nicht die Denkmäler und Friedhöfe, die durch den 2-plus-4- Vertrag bis auf weiteres dem Abriß entgehen. Sie sind, voran das sowjetische Ehrenmal in Treptow, nach den Worten des Architekturhistorikers Hans-Ernst Mittig unverzichtbare geschichtliche Zeugnisse und einzigartig in ihrer Form wie in ihrer architektonischen Botschaft. Trutzig weisen die Panzer und Geschütze der Gedenkstätte an der Straße des 17. Juni Richtung Tiergarten, als ob dort noch versprengte Reste des Feindes lauerten. Aber es ist nicht das erbeutete Kriegsmaterial des Gegners, das ausgestellt wird, es sind die eigenen Waffen. In dieser Umkehrung des Prinzips der Kriegstrophäe liegt eine eigene Logik: nicht die Deutschen, nicht einmal die deutsche Armee war der Feind, den es nachträglich zu demütigen galt. Es ging darum, den Hitlerfaschismus zu schlagen, und die aufs Podest gehobenen Panzer des Modells T 34 haben dabei geholfen. Auch die Baumaterialien sind, wie Mittig nachgewiesen hat, kein Beutegut, obwohl die Berliner Volksmythologie bis heute behauptet, sie stammten aus der Reichskanzlei. Granit aus der Ukraine wurde in Treptow verwandt und der empfindliche weiße Kalkstein für den Sockel des Hauptdenkmals. Das erinnert an den südrussischen Kurgan, den Grabhügel aus früher slawischer Zeit. So schließt sich der Kreis zu den eigenen Vorfahren aus der Zeit vor der „Ostkolonisation“. Viel Vermischung zwischen den „Freunden“ und dem weiblichen Bevölkerungsteil der DDR hat es nicht gegeben. Da war die strikte Abschottung vor, die nur bei „völkerverbindenen“ Anlässen, Kulturveranstaltungen und Ernteeinsätzen etwa, gelockert wurde. Wer glücklicher Besitzer einer Ausgangserlaubnis war, sich in eine DDRlerin verliebte, den Widerstand der deutschen Angehörigen überwand und eine Familie gründen wollte, bedurfte der Sondergenehmigung – und die war oft erst nach mehrjährigem Grabenkampf mit der Militärbürokratie zu haben. Im Standesamt von Lichtenberg (zu dem der Militärbezirk Karlshorst gehört) erinnert sich die im Dienst ergraute Standesbeamtin an keinen Fall von Trauung, an der ein russischer Soldatenrock beteiligt gewesen wäre. Aber, so fügt sie hinzu, wir hatten auch keine Veranlassung, nach dem Beruf des ausländischen Bräutigams zu fragen. Immerhin regelte ein Abkommen zwischen der Sowjetunion und der DDR die Fahndung nach säumigen Alimentenzahlern. Jenseits und unterhalb des offiziellen Freundschaftsbetriebs existierten in der DDR stets Versuche, für eine authentische Beziehung zwischen Russen und Deutschen zu arbeiten. Es gab das „russische Ostberlin“, wie Karl Schlögel das informelle, dichte Geflecht der Kultur-Fans, Wissenschaftler und Pädagogen genannt hat, die sich wohl den „sowjetischen Menschen“ verbunden fühlte, kaum aber den drangsalierten, bargeldlosen Wehrpflichtigen von der nahegelegen Kaserne. Aber mit den Soldaten teilten die DDR-Kulturniks die Liebe zu Wisotzki, Okutschawa oder der Pugatschowa. Sie waren und sind hier bekannter als im Westen. Und wenn in der Untergrund-Passage der Friedrichstraße ein abgerissener russischer Tourist sein „Pratati, Pratata“ anstimmt, kann er sicher sein, daß auch mancher D-Mark- bewußte Ossi seine Börse zieht.
Zu einem mitfühlenden Gespräch würde es allerdings kaum reichen. Die Schulpflichtigen der DDR weigerten sich fast ein halben Jahrhundert hartnäckig, die russische Sprache zu erlernen. Das DDR-Deutsch hingegen erwies sich als ausgesprochen resistent gegenüber Anleihen aus der Brudersprache. Die in der DDR stationierten sowjetischen Soldaten haben laut Auskunft von Manfred Hellmann (Institut für deutsche Sprache) kein einziges Wörtchen zur Erweiterung des deutschen Sprachschatzes beigetragen. Kreativer waren da die Funktionäre der SED, die „auf Schulung“ in der Sowjetunion weilten und einige Begriffe des russischen Nomenklatur- Jargons importierten. Die einfachen, nischensüchtigen DDR-Bürger entlehnten die Datsche (nicht Datscha, wie die Wessis irrtümlich meinen) aus dem Russischen, in der Fabrik arbeiteten sie unter ihrem Brigadier (wie Tier ausgesprochen), und den Zug, der von Potsdam bis Karlshorst Westberlin wie ein Satellit umkreiste, nannten sie „Sputnik“. Wo ursprünglich englische Begriffe den Umweg über das Russische gemacht hatten, fiel die Adaption leichter. So im Fall von Miting (urspr. meeting) oder bei den im Endstadium der DDR bedenklich zunehmenden Fällen des Huliganismus (urspr. von hooligan). Angenommen und mit Inbrunst im Behördenklatsch verwendet wurden auch der Apparatschik, der seelenlose Bürokrat, und der Natschalnik, der ebenso miese Chef. Im fünften Jahr der deutschen Einheit sind diese Rudimente freilich schon fast vollständig den entsprechenden Anglizismen gewichen.
Bleibt das hauptsächliche Instrument der Völkerfreundschaft, der Magen. Zweifellos haben viele DDRler das erste Mal auf einem Kulturfest der „Freunde“ mit jenem säuerlichen Gebräu Bekanntschaft gemacht, das später unter dem Namen Soljanka zum unverzichtbaren Bestandteil der DDR- Küche wurde. Das gleiche trifft sicher auf den ukrainischen Borscht zu, überhaupt auf die vielfältige Verwendung von Kohl, saurer Sahne und Quark, schließlich auf die köstlichen, mit Gemüse oder Fisch gefüllten Piroggen und nicht zuletzt auf den Zupfkuchen, der in der Gegend um Werder heimisch wurde. Aber all diesen Errungenschaften, für die die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte wenigstens indirekt verantwortlich zeichnet, droht der Untergang – und dies nach Meinung von Herrn Ummersbach, dem Chef des renommierten Nevsky-Bistro in Hamburg, zu Recht. Denn seiner Meinung nach war die russische Küche in der DDR von Anfang an durch den Stalinismus ruiniert und die Köche, die die Geheimnisse der altzaristischen Cuisine hätten weitergeben können, als Konterrevolutionäre liquidiert, sofern nicht ein wagemutiger Nomenklaturist sich seinen Chefkoch gerettet hatte. So gibt es nach Ummersbach keine Veranlassung, den russischen Reminiszenzen in der DDR- Küche nachzutrauern und dies um so mehr, als die Italiener und Chinesen gerade dabei sind, deren letzte Spuren zu vertilgen.
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