■ Lido-Kino: Venedig revisited
Orientiert am Bruder mit den goldigeren Haaren, am Festival in Cannes („was Cannes kann, kann ich schon lange“, hoho), hat sich die diesjährige Mostra von Venedig entschlossen, die amerikanischen Majors zu drosseln, basta. Beziehungsweise, über den eigenen Mut schon wieder ein bißchen stolpernd, sie in die Nachtschiene zu verweisen.
Im Wettbewerb der heute startenden Biennale wird unter anderem Oliver Stones „Natural Born Killers“ zu sehen sein, von dem man die endgültige Rehabilitation des Serienmörders als „Noble Savage“ erwarten darf.
Außerdem ist Alexandre Rockwells Indie-Produktion mit dem schönen alten Airplane- Titel „Somebody to Love“ zu erwarten. Alexandre Rockwell war der Mann von „In the Soup“, eines ziemlich grizzligen Autorenalptraums, gegen den „Barton Fink“ wie eine Tasse Kräutertee aussieht.
Außerdem war er derjenige, der so nett neben Jennifer Beans in Nanni Morettis „Caro Diario“ promenierte und zu ihr sagt, der Regisseur sei wohl ein wenig „off“.
Währenddessen läuft Woody Allens „Bullets over Broadway“, der einem ein Wiedersehen mit old Dicklippe Chazz Palminteri (der Wise Guy aus De Niros Filmdebüt) und John Cusack bescheren wird, außer Konkurrenz.
All das ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß ausgerechnet Camerons „True Lies“, „Wolf“ mit Jack Nicholson und Michele Pfeiffer, „Clear and Present Danger“ mit Harrison Ford, und „Forrest Gump“ aus dem Hause Zemecki als „eventi speciali“ laufen werden, obwohl der eine jetzt schon, die beiden anderen sehr bald in den Kinos Europas zu sehen sein werden.
Ansonsten setzt man auf die kleineren Filmländer: Burkina Faso, Tschechien (mit einem Film des Prager Regisseurs Jiři Menzel), Mexiko, Österreich oder Italien. Jacques Doillon, der zuletzt auf der Berlinale mit „Le Jeune Werther“ reüssierte, zeigt seinen neuen Film „Germaine et Benjamin“.
Die taz-Kraft darf man in diesem Jahr in den Nebenschienen vermuten: In der „settimana della critica“ ist „Iron Horseman“, ein Film des finnischen Regisseurs Gilles Charmant, zu sehen, unter heftiger Mitwirkung von Aki Kaurismäki und Jim Jarmusch, die zu Recht seit „Night on Earth“ nicht mehr voneinander lassen mögen.
Eine restaurierte Kopie von Fritz Langs „Rancho Notorius“ wird zu sehen sein, Dokumente über den Einzug der russischen Truppen in Berlin, den Krieg, den Faschismus und – die Beatlemania ...
Der einzige Film aus Deutschland wird, soweit ich das bislang sehen kann, „Frankie, Jonny und die anderen“ sein, ein Stück über mehrere amerikanisierende Nordlichter, das leider ein wenig hinter dem zurückbleibt, was Detlev Buck bereits für seine Neighborhood erstritten hat.
Eine Retrospektive von King- Vidor-Filmen wird es geben, in schönster Vistavision, eine Hommage an Federico Fellini und Louis Malle und den Director's Cut von Michael Wadleighs „Woodstock“.
Zu unserer These von der kleinen Identitätskrise des Festivals angesichts seiner Position in den Zeiten Berlusconis paßt die Tatsache, daß außerordentlich viel Staastpräsenz anwesend sein wird, die keineswegs mit der Zahl der prominent präsentierten italienischen Filme korrespondiert (ein Segen!). Die Parlamentspräsidentin Irene Pivetti wird sich die Ehre geben, Carlo Scognamilio, der Senatspräsident, Publio Fiori, der Verkehrsminister (what's Verkehr got to do with it?), und so weiter. Von Diskussionen wie im letzten Jahr, als es um Gatt und die Welt ging, ist heuer nicht mehr die Rede. Diesmal macht man Politik. Mariam Niroumand
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