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Tonangebend, verehrt und umstritten

■ Serie 100 Jahre Frauenbewegung: die Wortführerin Gertrud Bäumer (1873–1954)

„Das intelligente Gesicht – durchstrahlt von Güte“, schwärmte die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz 1981 mit einer wohlwollenden Unbefangenheit, die wohl damit zu tun hatte, daß sie sich selbst nicht der Frauenbewegung zurechnete. Feministinnen reagieren gewöhnlich heftig auf den Namen Gertrud Bäumer, der für „Organisierte Mütterlichkeit“ und „Nationaler Frauendienst“ steht. Vor allem aber war sie die wohl exponierteste Wortführerin der Frauenbewegung vor 1933.

Es fing damit an, daß die 23jährige Lehrerin 1896 als Vertreterin des Magdeburger Lehrerinnenvereins der großen Vorsitzenden Helene Lange vorgestellt wurde. Die war damals 48 und so ziemlich die einflußreichste Frau in der deutschen (gemäßigten) Frauenbewegung. Zwei Jahre später, als sich Bäumer in Berlin auf ein Studium vorbereitete, hörte sie von einem schweren Augenleiden Helene Langes und bot ihr ihre Hilfe an. Aus dem „Privatsekretärinnenjob“ wurde sehr schnell eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die 30 Jahre dauerte. „Wenn man so verehrend liebt, gibt es keine Grenzen der Kraft mehr“, schrieb Bäumer über den Beginn dieser Beziehung. Als erstes nahm sie der Verehrten die Hauptarbeit zu einem fünfbändigen Handbuch über den Stand der internationalen Frauenbewegung ab, das noch heute ein Standardwerk ist. Außerdem promovierte sie 1904, noch bevor in Deutschland das Frauenstudium offiziell durchgesetzt war, mit einer Arbeit über den von der gesamten bürgerlichen Frauenbewegung geradezu kultisch verehrten Goethe. Gleichzeitig avancierte sie zur neben Helene Lange gleichberechtigten Richtungweiserin der Frauenbewegung in den drei wichtigsten Organisationen: Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), Allgemeiner Deutscher Frauenverein (ADF) und Allgemeiner Deutscher Lehrerinnenverein (ADLV). Das Paar redigierte gemeinsam die 1893 von Helene Lange gegründete renommierte Monatszeitschrift Die Frau.

Von 1910 bis 1919 war Bäumer Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine und blieb auch anschließend in dem mächtigen Dachverband der Frauenorganisationen tonangebend. In den ersten Tagen des Ersten Weltkrieges gründete sie den Nationalen Frauendienst, der alle organisierten Frauen von den Konfessionellen bis zu den Sozialdemokratinnen sozialpolitisch an der „Heimatfront“ in die Pflicht nahm. Nach Einführung des Frauenstimmrechts 1919 wurde Bäumer als Abgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) in die Nationalversammlung gewählt und gehörte dem Reichstag bis 1933 an. So lange war sie auch Ministerialrätin im Reichsinnenministerium, zuständig für Erziehung und Jugendwohlfahrt, ein Amt, aus dem sie gleich nach der Machtergreifung wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen wurde.

Gertrud Bäumer hat sicher viel dazu beigetragen, daß die massiven Legitimationsprobleme der Frauenbewegung in der Weimarer Republik nicht zum Zusammenbrechen der Organisationen geführt haben. Bereits nach der Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1919 erschien der BDF vielen als überflüssiger Apparat, der nunmehr die Gleichberechtigung verwaltete, ohne noch „Frauenbewegung“ zu sein. In einem sich durch die zwanziger Jahre ziehenden Generationenkonflikt nahm Bäumer eine kritische, aber auch vermittelnde Position gegenüber den Gemeinschaftsbedürfnissen des Nachwuchses ein.

Man kann sich übrigens das Ausmaß der Verehrung und Zuneigung kaum vorstellen, das der eher Unnahbaren von vielen jüngeren Frauen in der Weimarer Republik entgegengebracht wurde. Selbst die Sozialdemokratin Hedwig Wachenheim gestand in ihren „Memoiren einer Reformistin“, daß sie sich von Gertrud Bäumers Unterricht (in der Berliner Sozialen Frauenschule) sehr angezogen gefühlt hatte. Im Gegensatz zu Alice Salomon, die „immer abgezehrt und freudlos“ ausgesehen habe, sei „die gleichaltrige Gertrud Bäumer eine blühende Frau“ gewesen, „elegant und modisch gekleidet, ihrer bedeutenden Stellung in der Frauenbewegung entsprechend“.

Nach dem Tod Helene Langes 1930 ging Gertrud Bäumer eine neue Lebensgemeinschaft mit einer weniger exponierten Frau ein. Auf deren Landgut in Schlesien zog sie sich während der Nazizeit zurück, um vorwiegend historische Romane zu schreiben. Daß sie bis 1944 Die Frau weiterführen durfte, hat ihr nach 1945 heftige Kritik eingetragen. Eine historisch einfühlsame Bewertung dieser Tätigkeit steht noch aus – wie überhaupt eine Biographie dieser eindrucksvoll schillernden Persönlichkeit, die 1954 in geistiger Umnachtung starb. Daß sie eine Gegnerin des NS-Regimes war und sich deshalb durchaus Gefährdungen aussetzte, läßt sich nicht bestreiten. Ihre Beteiligung an der Neugründung einer christlichen und sozialen Partei nach 1945 (CSU) muß auch aus dieser Gegnerschaft interpretiert werden. Irene Stoehr

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