: Die Faszination des Ausnahmezustandes
■ Polizei- und Justizprofis bei der Kriminalitätsbekämpfung auf Freiheitssuche
„Freiheit und Sicherheit – ein Gegensatz?“ Eine brisante Frage, der sich gestern im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Führungskräfte aus Justiz und Polizei stellten. Hauptreferent der Veranstaltung unter der Ägide des Justiz- und des Innensenators war Professor Dr. Hans Lisken. Der ehemalige Richter, Buchautor und derzeitige Polizeipräsident von Düsseldorf gilt als einer der profiliertesten Kritiker der inneren Sicherheits-Entwürfe.
Lisken legte das Problem der zunehmend bedrohten inneren Sicherheit als vorwiegend sprachliches Problem bloß. Wir befinden uns im Kampf gegen die organisierte Kriminalität? „Was sollen“, fragte Lisken, „diese kriegerischen Termini?“ Die Polizei habe aufzuklären, aber nicht mit Kampfstrategien – „unser Einsatzmittel ist das Wort.“ Organisierte Kriminalität? Dieser Begriff sei nirgendwo legal definiert, habe sich aber festgesetzt als Begründung einer realitätsfernen „Kriminalitätsexplosion“. Es sei der Bevölkerung kaum noch vermittelbar, daß etwa im Düsseldorf der Jahrhundertwende die Zahl der Gewalttaten höher gewesen sei als heute. Auch der Terminus „innere Sicherheit“ sei nicht mehr als eine politische Vokabel: „Seit zwei Jahren leben wir in einer Art Sicherheitspsychose“, und das, mutmaßt der Polizeipräsident, könnte was mit Wahlkampf zu tun haben.
Lisken zeigte die Konsequenzen auf, die mit dem großen Lauschangriff, Einsatz von V-Männern sowie Verkoppelung von Nachrichtendiensten und Polizei verbunden sind: „Vorfeldüberwachungen sind vom Grundgesetz her nicht zulässig, auch wenn sie gesetzlich gestattet wären.“ Die Datenverbindungen zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Nachrichtendiensten verstoße ebenso gegen das Persönlichkeitsrecht. Die Protagonisten solcher Kompetenzverschiebungen oder -erweiterungen, gab Lisken zu bedenken, „sind dieselben, die die Werteverluste in dieser Gesellschaft beklagen und dabei gleichzeitig die Grundrechte reduzieren wollen.“
Auf den Einsatz von V-Leuten hat der Düsseldorfer Polizeipräsident bisher rundum verzichtet. Die Verbrecher seien ohnehin immer einen Schritt vor der Polizei. Eine Polizei, die es für effektiv hält, sich derselben Methoden zu bedienen wie die Rechtsbrecher, werde zunehmend selbst gegen Gesetze verstoßen müsse. Lisken bescheinigt den Befürwortern, einer „Faszination des permanenten Ausnahmezustandes“ zu erliegen. Das fördere jedoch nicht das Vertrauen der BürgerInnen untereinander, sondern schärfe deren Mißtrauen auch gegen die Behörden. Ein Primat der Sicherheit vor der Freiheit sei nicht hinzunehmen, denn „es gibt keine normative Sicherheit vor dem Unrecht.“
Die Präsidenten des Bremer Amts- und Landgerichtes pflichteten dem Referenten bei: Die seit mehr als zwanzig Jahren betriebene Erweiterung der gesetzlichen Bestimmungen zur Kriminalitätsbekämpfung habe nicht mehr bewirkt als die Erosion der Grundrechte. Anders die Vertreter der Polizei, die die Sicherheit gefährdet sehen. „Wieso“, hielt ihnen ihr Düsseldorfer Kollege entgegen, „muß ich mir als Polizist die Verantwortung für die Kriminalitätsentwicklung aufstülpen lassen?“
Besserung sei durch die Ausweitung der Exekutive ebensowenig zu erwarten wie durch die der Kompetenzen. Es müsse eine andere Drogenpolitik her, eine bessere Sozialpolitik. „Alle Fälle, denen ein Defizit sozialer Gerechtigkeit zugrundeliegt steht, müssen wir aufarbeiten. Dann haben wir auch weniger Kriminalität.“ dah
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