: Selbst Klaus Kinski kann's
Hinter dem Pfiff lauert der Abgrund oder Die anthropologische Bedeutung des Pfeifens – Während des Festivals „Pfeifen im Walde“ im Podewil ist eine passende Film-Reihe zu sehen ■ Von Katja Nicodemus
Völlig verfälscht wurde der „River Kwai Marsch“ durch dieses fürchterliche Stück Magenbitterreklame. Vom Kräuterschnaps auf dem Berg schmetterte da in fröhlichem Gruppenzwang eine Gruppe flott daherwandernder Frührentner. In „Die Brücke am Kwai“ pfiffen Alec Guiness und seine britischen Jungs den Marsch noch richtig zackig beim Einzug ins japanische Kriegsgefangenenlager.
In seiner scharfen, kurzen Variante hat der Pfiff einfach was Militärisches, wenn er so preußisch-penetrant durch die Luft saust, akustische Gewehrkugel und schallgewordenes Exerzierreglement in einem. Ungemein stolz sind die deutschen Militärs in „Feldzug in Polen“ auf die pfiffigen Geräusche ihres neuen Kriegsgeräts, ausführlich bekommt man vorgeführt, weshalb die Sturzkampfbomber so durchdringend pfeifen. In Elem Klimovs „Komm und sieh“ hallt das schrille Pfeifen der niedergehenden Bomben einem kleinen Jungen noch lange nach dem Angriff in den Ohren.
Hinter dem Pfiff lauert der Abgrund, und deshalb pfeifen auch Serienkiller mit Vorliebe. Zum Inbegriff der Scheinheiligkeit mutiert das leicht abwesende, melodische Vorsichhinpfeifen der triebgeplagten Herren. Hektisch und etwas schräg, aber durchaus wiedererkennbar, trällert Peter Lorre in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ Edvard Griegs Peer- Gynt-Melodie vor sich hin, bevor er auszieht, kleine Mädchen zu schlachten. Direkt proportional zur Anzahl der Leichen verhält sich das Pfeifen in Jess Francos Blut- und Nebel-Orgie „Jack the Ripper – Der Dirnenmörder von London“. Erstaunt stellt man fest, daß selbst animalische Klaus-Kinski-Lippen imstande sind, das kleine Löchlein zur Erzeugung des Tons zu formen.
Hin und wieder taucht die Pfeiferei im Film als geheimer Nachrichtencode auf. In Alfred Hitchcocks „Eine Dame verschwindet“ übermittelt die Miss-Marple-artige Geheimagentin Miss Froy die vaterlandsrettenden Töne bis zum Foreign Office, während sich „Emil und die Detektive“ bei der Verfolgung des bedauernswerten Taschendiebs als Möchtegern- Agenten aufführen.
Auch im Weltall fiept's
Einen ziemlich ausgedehnten Pfeifbegriff bewiesen die Organisatoren der Reihe „Filme mit Pfiff“ mit der Auswahl von Fred McLoyds „Forbidden Planet“ („Alarm im Weltall“, 1955). Zu einer bösartigen Energieansammlung namens „It“ bündeln sich in diesem spacigen Science-fiction- Streifen die negativen Regungen aus dem Unterbewußtsein der Menschen. Gepfiffen wird hier nur einmal und zwar anerkennend angesichts der Oberweite einer Weltraumprinzessin. Ansonsten gibt es im grell ausgestatteten Raumschiff jede Menge Synthi-Fiepen und schrille Töne beim Landeanflug.
Paradestück der Pfeifreihe ist natürlich Helmut Käutners „Wir machen Musik“ (1942). Liebe, Ehe, Krach und Versöhnung lauten die dramaturgischen Eckpfeiler dieses zwanghaft unbeschwerten Machwerks mit Ilse Werner als pfeifender Bandleaderin und Ehefrau eines erfolglosen Komponisten. Schwungvoll überträllerte die flotte Ilse, Topstar der Vierziger, damals das Pfeifen der Bomben. Im Anschluß an die Basler Fastnachtspfeifer säuselte die große alte Dame des deutschen Pfiffs gestern abend zur Eröffnung des Festivals im Podewil noch einmal ihre berühmte Pfeifserenade.
Neben den vom Eiszeit-Kino ausgewählten „Filmen mit Pfiff“ werden Konzerte, Vorträge und Ausstellungen den Pfiff eine Woche lang in seiner sträflich unterschätzten anthropologischen, sozio-kulturellen und physiologischen Fülle präsentieren. Über den Dächern im Bezirk Mitte sollen zum Beispiel wackere Einwohner der kanarischen Insel Gomera versuchen, mit ihrer alten Pfeifsprache namens Slibo den Verkehrslärm zu übertönen, während auf dem Freigelände rund ums Podewil sogenannte Border Collie Hunde, dirigiert von Pfeifkommandos, ein Häuflein verängstigter Schafe terrorisieren. Beim „Langen Abend der Amateurpfeifer mit großem Wettbewerb“ ist dann auch der schönste Hobbypfiff willkommen. Der pfeifende Hals- Nasen-Ohrenarzt Dr. Tamás Hacki wird die Pfeiferei am 18.9. in allen Ehren beschließen.
Schmerzlich vermißt wird im Programm hingegen die kleine, absolut obligatorische Hommage an Loriot. Sollte man ihn etwa vergessen haben, ihn, der dem Pfeifen sein ursprüngliches, einzig korrektes Imperfekt zurückgab, das da lautet: Ich pfoff.
„Film mit Pfiff“: Heute, 22 Uhr und 13.9., 18 Uhr: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang, 24 Uhr: „Jack the Ripper“ von Jess Franco; morgen, 14 Uhr: „Emil und die Detektive“ von Gerhard Lamprecht, 12.9., 20.30 Uhr und 13.9., 18 Uhr: „Geh und sieh“ von Elem Klimow, weiteres Programm erfragen im Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte, Tel.: 24 73 96
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