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■ Warum es keine weißrussischen Kommunisten gibtVom süßen Traum der Sowjetnostalgie

Warum es keine weißrussischen Kommunisten gibt

Vom süßen Traum der Sowjetnostalgie

Weißrußland ist ein Freilichtmuseum des sowjetischen Kommunismus – in Form und Inhalt. Die Kommunisten marschieren unter roten Sowjetfahnen mit Hammer und Sichel und Transparenten, die die UdSSR in den Himmel loben und versichern, ihre Liebe zu derselben werde nie im Herzen der Menschen erlöschen. Diese Dekorationen kommunistischer Aufmärsche sind keine reine Nostalgie, sondern sie bergen die tiefe Hoffnung auf die Wiederauferstehung von Kommunismus und Sowjetsystem. Mag sein, daß ein Teil der Kommunisten ahnt, daß eine volle Wiederherstellung nicht stattfinden wird, aber die Mehrheit lebt in einem Traum aus ahistorischen Mythen und wartet sehnsüchtig auf dessen Erfüllung. Außenstehende reiben sich angesichts von soviel Nostalgie die Augen und staunen.

Das heutige Weißrußland ist voller sowjetischer Dekorationen. Lenin- Denkmäler stehen in jedem Ort. Straßen, Fabriken, Kolchosen und Plätze sind nach dem „Großen Oktober“ benannt. Vor dem Regierungsgebäude in Minsk steht der größte Lenin von allen und auf dem Gebäude weht die Nationalflagge über der Fahne der früheren Sowjetrepublik Weißrußland. Minsk ist wohl auch die einzige Hauptstadt einer früheren Sowjetrepublik, in der das Dzierzynski-Denkmal nicht nur nicht demontiert, sondern auch noch renoviert wurde. Das frühere NKWD-Gefängnis, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Andersdenkende untergebracht wurden, dient auch heute noch als Gefängnis, das von einer Dzierzynski-Büste geschmückt wird. Die weißrussische Nationalhymne ist immer noch die der Sowjetrepublik und der Druck weißrussischer Pässe, die die immer noch in Umlauf befindlichen sowjetischen ersetzen sollen, wird immer wieder verschoben.

Da findet sich auch kein Platz für irgendwelche nationalen Symbole. Für die Kommunisten ist allenfalls noch die Flagge der weißrussischen Sowjetrepublik akzeptabel, die derzeitige Nationalflagge in den Farben weiß-rot-weiß lehnen sie ab mit der Begründung, sie habe bereits den mit Hitler kollaborierenden weißrussischen Nationalisten während des Zweiten Weltkrieges gedient.

All diese Auswüchse der Sowjetnostalgie haben in Weißrußland noch nie den Weg in die Rumpelkammer gefunden, auch wenn sie mächtig nach Naphtalin riechen. Die Kommunisten in Weißrußland (die nicht etwa „weißrussische Kommunisten“ sein wollen) fühlen sich demzufolge auch nach wie vor in erster Linie als Bürger der Sowjetunion. Ihr Geschichtsbewußtsein beziehen sie aus Rußland – daher ehren sie zaristische Führer und wehren sich gegen den Gedanken, Weißrußland könne sich in der Vergangenheit der russischen Hegemonie entgegengestellt haben. Wenn also ein Kommunist in Weißrußland von sich behauptet, er sei Weißrusse, so immer nur deshalb, um zu beweisen, daß die Behauptung der nationalen Opposition, daß das Sowjetsystem dem Land von außen aufoktroyiert worden sei, eine Lüge ist.

„Ich bin ein Weißrusse“, erklärt so ein Kommunist, „und als solcher verlange ich, daß Russisch neben Weißrussisch zweite, gleichberechtigte Amtssprache wird.“ Und dann protestiert er gegen die Verbreitung von Literatur und Schulbüchern in weißrussischer Sprache. Er fordert eine gut abgeschottete Grenze mit Litauen, Lettland und Polen, und möglichst gar keine mit Rußland, obwohl gerade von dort die meisten Drogen, Waffen und Gangster kommen. In westlichen Investoren sieht er kapitalistische Agenten, die Weißrußland kolonialisieren wollen. Daß der russische Transit durch Weißrußland umsonst abläuft, stört ihn nicht und ebensowenig die Tatsache, daß in der weißrussischen Verwaltung jede Menge Beamte mit russischer statt weißrussischer Staatsbürgerschaft arbeiten.

Die gesamte russische Anwesenheit in Weißrußland wird mit einer slawischen Soße übergossen, damit sie für die Gegner verdaulicher wird. So richtig slawisch ist diese Soße allerdings nicht, denn polnische und tschechische Elemente kommen darin nicht vor. „Slawische Einheit“ – das umschließt die Ukraine, Weißrußland und Rußland und in einem Anflug unkontrollierten Enthusiasmus manchmal sogar die asiatischen Republiken der früheren Sowjetunion.

In Weißrußland gibt es keine Nationalkommunisten und dabei wird es wohl auch bleiben. Es gibt zwar Kommunisten – aber das sind überwiegend Geschäftemacher, für die die Unabhängigkeit kein Wert an sich ist, sondern lediglich ein dienlicher Faktor beim Geschäftemachen. Sie werden diese Unabhängigkeit verteidigen, soweit das beim Handel mit dem größeren Nachbarn notwendig ist. Denn zur Zeit schützt die Unabhängigkeit die weißrussischen Geschäftemacher noch davor, von ihren erfahreneren und mit mehr Kapital ausgestatteten Konkurrenten aus Rußland plattgemacht zu werden. Wenn sie jedoch aufgeholt haben, wird ihnen die Unabhängigkeit lästig werden. So gibt es unter den Kommunisten in Weißrußland keine Verteidiger der Unabhängigkeit und unter den Verteidigern der weißrussischen Unabhängigkeit keine Kommunisten. Urszula Mikolajczyk

Die Autorin ist Korrespondentin der polnischen Nachrichtenagentur PAP in Minsk

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