Revolution persönlich

■ Kulturetage Oldenburg zeigt das Rußlandstück „Wodka und Wölfe“

Die teuren Theaterfummel kann man gleich zu Hause lassen: freundlich aber bestimmt wird allen die Jacke abgenommen, ein einheitsgrauer Kolchosenkittel gestaltet das Outfit des Publikums. Auf rohen Bänken nehmen wir Platz, auf der Bühne der Oldenburger Kulturetage. Wir sind in einer kleinen Dorfkneipe in Rußland, 1917, mitten im Krieg. Wir sind bei der Premiere von „Wodka und Wölfe“, der neuen Produktion vom Ensemble der Kulturetage.

Der Wirt hier schenkt Wodka aus, eine alte Frau (Tina Harms) summt weinerliche Weisen, in einer Ecke drücken sich zerlumpte Soldaten herum, lesen Feldpost, von der Mama: „Stolz, tapfer, Mut, Gott, Vaterland, beten.“ Ihre Gesichter tragen noch den Schalk der Jugend in sich, Mutterns entsandte Hoffnungen werden ihnen zu Glaubenssätzen, die im Sirenengeheul ersterben.

Dann sind wir in St. Petersburg. Und hier wird 1917 noch gelacht. Das Zarenpaar schwebt mit Pomp herein: Alexandra (Tina Harms) triumphiert auf einem hölzernen Käfigwagen, darin ist ein Revolutionär an den Füßen aufgehängt, nackt der Belustigung ausgesetzt. Anna, die Agitatorin (Andrea Nahrsedt), schwingt sich auf ein Podest aus Bänken zu einem Pas de Deux mit Pierre Lavalle (Uwe Bergeest), dem französischen Abenteurer; ihr erotischer Tanz ist ein Flirt mit der Hoffnung. Denn „Dawai“ - „Hoffnung“ ist das eigentliche Thema dieses Stückes.

Die Hoffnung des kleinen Volkes im Dorf. Darauf, daß die Revolution alles verändern wird. Das tut es, aber ohne das Volk. Das hofft jedoch weiter, auch als der Zar (Ralf Selmer) endlich abdankt und verschwindet. Jetzt spielen die Revolutionäre Billard, und die Kugeln rollen wie die Köpfe.

Schon kündigt sphärische Musik (exzellent: Jegor Wyssozkij) vom nahenden Stalinismus, schon rollen Züge durch den Raum: Flucht, Deportation. Doch der schüchternen Olga (erneut Tina Harms) bringt die Hoffnung auf Veränderung erst noch ein neues Kleid: Das zarte Geschöpf wird eine beinharte, verhärmte Denunziantin, die sogar ihrer Freundin Anna das Todesurteil hinhält. Und in dem „Podest der Revolution“ auf der Bühne versinkt wieder ein Gesicht.

Kopf hoch, Kinder! Robbespierre und Danton kommen reingeradelt, auf irrwitzigen Drahteseln unverdrossen zankend: „Was hat man von der Revolution - überflüssige Geschichtsbücher“, ketzert Danton, stimmt mit dem weinerlichen Robbespierre ein verzerrtes „Sur le Pont D-Avignon“ an, und kreischend verliert sich das Panoptikum alter Aktivisten im Off.

Menschlich, mit Wortwitz und Sinn fürs Detail erzählt das Ensemble der Kulturetage unter der Regie von Norberto Prestas so von „Wodka und Wölfen“. In den Mehrfachbesetzungen und der schrecklichen Metamorphose Olgas ist vor allem Tina Harms glaubhaft. Als krummes Mütterchen schwingt sie zuletzt die rote Fahne, allein auf dem Podest, im Gesicht noch „Dawai“ - die Hoffnung. Die Kinder entlassen die Revolution.

Marijke Gerwin

Nächste Aufführung: 16.9., 21 Uhr, Kulturetage Oldenburg, Bahnhofstr. 11