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Der Name NGO ist noch kein Programm

■ Neuer Trend zum Lobbying bei den regierungsunabhängigen Organisationen

Kairo (taz) – Seit dem Erdgipfel im brasilianischen Rio vor zwei Jahren dürfen sie auf keiner UN- Konferenz mehr fehlen: die sogenannten regierungsunabhängigen Organisationen, kurz NGOs. Hinter dem monströsen Wortgebilde verbirgt sich eine bunte Schar von Frauen-, Umwelt-, Solidaritäts- und allen möglichen anderen Gruppierungen, die nur eines eint: sie sollen eben nicht ein Teil der Regierung sein. Auch bei der jetzigen Weltbevölkerungskonferenz in Kairo waren sie auf dem NGO- Forum wenige hundert Meter vom eigentlichen Hauptgeschehen, der UN-Konferenz, omnipräsent.

Geht es nach den Regierungsdelegationen und dem von ihnen beschlossenen Aktionsplatz für die zukünftige globale Bevölkerungs- und Entwicklungspolitik, dann sollen diese Gruppen in Zukunft eine „Schlüsselrolle im nationalen und internationalen Entwicklungsprozeß spielen“. Fast unheimlich muten die Lobgesänge der Regierungs- und UN-Bürokraten an. Vom kritischen Gewissen der Hauptkonferenz war die Rede. Immer wieder wurde die „entscheidende Rolle der NGOs“ unterstrichen, ohne die auch dieses neue UN-Dokument wesentlich weiter von der Realität entfernt geblieben wäre.

Der Name NGO ist kein Programm. Sowohl Abtreibungsgegner als auch deren Befürworter kämpfen unter diesem Namen. Der zunehmende Einfluß, der den NGOs nach dem Scheitern aller staatlichen Entwicklungsversuche seit Rio gegeben wird, hat sie eine neue Kunst entdecken lassen: das Lobbying – die Beeinflussung von Entscheidungsträgern. Mit Erfolg haben sie schon bei der Vorbereitung zur Kairoer Konferenz versucht, ihren Regierungen darzulegen, wo es langgehen soll. In Kairo war dieses neue Phänomen leicht zu lokalisieren. Während die einen die Stellung am Infostand im NGO-Forum hielten, wandelten die anderen durch die Gänge des Konferenzzentrums, um sich jemanden aus den offiziellen Delegationen für ein vertrauliches Gespräch zu greifen oder ein paar Handzettel mit Vorschlägen für die weitere Verhandlungsführung auf den Tischen zu plazieren.

Mit Erfolg, wie Sarah Burns, zuständig für politische Angelegenheiten am „Institut für Weltressourcen“, einer NGO mit Sitz in Washington, vermerkt. „Hätten die USA sich tatsächlich in der Frage der Abtreibung so weit gegenüber dem Vatikan aus dem Fenster gehängt, wenn sie nicht schon seit Jahren von den US- Frauengruppen bearbeitet worden wären?“ fragt sie, um den Nutzen der Lobbyarbeit zu unterstreichen. „Das Lobbying und die Basisarbeit müssen ein integraler Bestandteil der Arbeit von NGOs sein“, sagt auch Liz Taylor, die Direktorin der britischen Hilfsorganisation Oxfam in Ägypten. Doch der wachsende Einfluß der NGOs auf den letzten Weltkonferenzen hat diese Balance vielleicht etwas aus dem Lot gebracht. „Es gibt ein Moment auf dieser Konferenz, das andeutet, daß in Zukunft der Schwerpunkt sich womöglich auf die Lobbyarbeit verschieben könnte“, befürchtet Taylor. Auch Marry Beth Powers, die Vorsitzende des Internationalen NGO-Organisationskomitees für das Forum in Kairo, beobachtet diesen Trend. „In Rio haben die NGOs nicht mehr ihre Basisarbeit und ihre Programme vorgestellt“, sagt sie. Viele US- NGOs hätten in den letzten Jahren ein Büro in Washington eröffnet, um direkt auf die Politik des Weißen Hauses, des Senats und des Repräsentenhauses Einfluß zu nehmen.

„Es ist schwer für eine NGO, den richtigen Ausgleich zwischen den guten und effektiven Dienstleistungen an der Basis und der Einflußnahme auf die Politik zu finden“, beschreibt Powers das Dilemma vieler NGOs. „Einige von ihnen konzentrieren sich auf die Lobbyarbeit und tendieren dazu, die Basisarbeit zu vernachlässigen und ausschließlich im Rampenlicht großer Konferenzen zu arbeiten“, kritisiert der Chef des ägyptischen Sozialinstituts Mischqat, Nader Fargani, die neue Richtung.

In Kairo trat auch noch ein anderer Konflikt zutage. Viele der NGOs aus dem Norden sind an den direkten Kontakt mit ihren Regierungen und an tägliche Medienarbeit gewöhnt. Manche waren gleich mit ihrem PR-Vertreter angereist, der den anwesenden Journalisten mediengerecht ihre Position aufbereitete. Da fielen viele der NGOs aus dem Süden unten durch. „Die Realität ist, daß wir es hier in Kairo mit Frauen zu tun haben, die fünf Sprachen sprechen, und anderen, die in ihrer eigenen Sprache nicht lesen und schreiben können“, sagt Soja Montagna, Staatssekretärin für Frauenfragen in Bolivien.

Oft stellt sich auch die Frage, wen diese schön klingenden Namen der über tausend NGOs in Kairo tatsächlich vertreten. „Ich repräsentiere Millionen von Frauen“, sagt eine der anwesenden Abtreibungsgegnerinnen, von der Debatte erhitzt. Derartiges läßt Fargani skeptisch aufhorchen. „NGOs sprechen auf Konferenzen im Namen von Menschen, ohne jemals gefragt zu werden, wen sie wirklich repräsentieren, und ohne ihrer eigenen Basis jemals Rechenschaft ablegen zu müssen“, klagt er. „Das Problem ist: Wer spricht für wen?“ glaubt auch Taylor. Wenn eine ägyptische Mittelklassefrau über Frauenrechte spreche, dann gehe sie meist von ihren eigenen Erfahrungen aus, und die seien eben ganz anders als die von Frauen aus der Unterschicht. Nachdenklich macht es Taylor, wenn diese Frauen vorgeben, etwa im Namen aller arabischen Frauen zu sprechen.

Noch nie standen NGOs und Regierungsdelegationen in so engem Kontakt wie diesmal in Kairo. NGOs wurden sogar in die offiziellen Delegationen der USA und der Bundesrepublik mit aufgenommen. Mancherorts bröckelt die Klammer bei den (Nicht-)Regierungsorganisationen. Einige UN-Vertreter schlagen vor, in Zukunft nicht von Regierungs-, sondern von nationalen Delegationen zu sprechen.

Ausgesucht werden diese privilegierten NGOs natürlich von den Regierungsvertretern. „Für den kommenden Sozialgipfel in Kopenhagen lud das US State Department ihm genehme NGOs per Telefon ein, an der dortigen US- Delegation teilzunehmen“, beschreibt Sarah Burns das undemokratische Auswahlverfahren. Da werden manche NGOs dann zu Instrumenten, um die Politik der Regierung an die Basis zu vermitteln, fürchtet auch Sarah Burns. Karim El-Gawhary

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