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Mösen mit Biß

In Berlin wird Mitte Oktober der „Tempel der Lüste“ errichtet / Huren und Stricher machen klar, daß sie Sex und Kultur zu vereinen wissen  ■ Von Sonja Schock

Die Arbeit im Halbdunkel verlangt einen scharfen Blick, eine besondere Form der Wahrnehmung. „Man lernt, auf bestimmte Dinge zu achten: Wie bewegt er seine Hände, wie spricht er? Harmonisieren die verschiedenen Signale miteinander?“ – Fragen, die sich Gala Breton zehn Jahre lang mehrmals täglich gestellt hat. Das Vermögen, Menschen schnell einzuschätzen, hat die 31jährige weitgehend vor Verletzungen bewahrt. Denn die Gefahr, plötzlich einem Sadisten oder Psychopathen gegenüberzustehen, ist für Prostituierte groß.

Gala Breton hat ihre Berufserfahrung auf dem Augsburger Straßenstrich, in Münchner Edelpuffs und billigen Berliner Sexkinos erworben. An jedem neuen Arbeitsplatz wurde sie von ihren Kolleginnen aufmerksam geprüft. Es galt, sich als „gute“ Hure zu behaupten. „Gut“ bedeutet, ausdauernd zu sein und hart im Nehmen, bedeutet, mit schwierigen Typen fertig zu werden, mit angetrunkenen oder zugekoksten Kunden oder eben auch mit Durchgeknallten aller Art. Gute Prostituierte werden in den Kreis der Kolleginnen aufgenommen, genießen ein gewisses Prestige und gegenseitige Unterstützung.

Jenseits der Bordelltür sieht das anders aus. „Das Selbstbild der Prostituierten ist miserabel“, erzählt Gala, „es ist einfach kränkend, wenn du niemandem erzählen kannst, was du arbeitest, wenn du Papiere fälschen mußt, um eine Wohnung oder einen Kindergartenplatz für dein Kind zu kriegen.“ Rituale – wie lustvolle Kaufräusche und das ständige Streben nach „einem Hauch von Schönheit und Intaktheit“ durch teure Kleidung und Kosmetik – können die permanente Ehrverletzung lediglich abmildern. Für Gala ist es Zeit, die Tarnkappe abzureißen und offensiv den Schritt nach draußen zu wagen. Gala: „Ich will, daß die Sexpertinnen ein neues Selbstbewußtsein kriegen, ich will ihnen ein Denkmal setzen und gleichzeitig dafür kämpfen, daß die Jungen nicht mehr unter so miserablen Bedingungen arbeiten müssen.“

Mitte Oktober werden Gala und viele ihrer ehemaligen Kolleginnen deshalb in Berlin „den roten Samtvorhang heben“. Dann werden kulturschaffende Anschaffende aller Sparten und Geschlechter an zwei Veranstaltungsorten dem Negativimage vom wandelnden Loch die Zähne zeigen. „Ich habe im Bordell eine Menge intellektuelle Frauen getroffen“, sagt Gala.

Sie selbst hat in den Berliner Billigläden begonnen zu zeichnen und zu fotografieren. Da, wo die Bettwäsche immer wieder neu drapiert werden muß, weil nie genug zum Wechseln da ist, wo der Quickie 50 Mark kostet und die Sexpertinnen zwischen zehn und zwanzig Kunden am Tag bedienen, hatte Gala plötzlich das Gefühl, „mittendrin zu sein“. Sie bekam Dinge und Menschen zu sehen, die andere lieber nicht sehen mögen: Verkrüppelte und Frischoperierte, Kranke und Perverse aller Art und immer wieder „den Bodensatz aus Einsamkeit und Isolation“.

Gerade auch diese verdrängten Seiten der Sexualität will Breton der Gesellschaft kunstvoll zurückschleudern. In vielen der Bilder, Texte und Performances, die dem Publikum aus diesem Mikrokosmus erzählen werden, steht der Körper im Mittelpunkt.

„Es geht immer um den Körper“, sagt Gala, „was er ausdrücken kann. Wir haben einen scharfen Blick auf Körper und auf Sexualität.“

Das bestätigt die bereits zusammengestellte Bildauswahl. Die Arbeiten der Frankfurter Malerin Monika Büchner zum Beispiel, die mit kühnem, sicherem Strich großformatig und farbenfroh Frauenakte auf die Leinwand bringt. Immer wieder steht die nackte Frau im Mittelpunkt, dennoch erreicht Büchner eine beeindruckende atmosphärische Spannbreite.

Sexualität im Spannungsfeld zwischen sexuellem Mißbrauch und lustvoller Selbstbefriedigung, zwischen äußerster Verletzung und trotzig-frecher Selbstbehauptung. Auch wenn die Vulva noch so rot und herausfordernd leuchtet, werden die Modelle doch nie auf sie reduziert. Im Gegenteil: Der Malerin gelingt eine eindrucksvolle Synthese zwischen Kopf und Körper, Ästhetik und Emotionalität.

Auch die Berlinerin Maria Möllner beschäftigt sich immer wieder mit nackten Frauenkörpern – mit gefesselten Körpern. Ihre Art der Darstellung verleiht einer ausgefallenen und geschmähten Sexualpraktik unerwartete Dimensionen: überraschend schön (siehe Interview).

Der Blick der Künstlerinnen weicht deutlich ab von den herrschenden Klischees. Sie selbst nehmen sich keineswegs als Erfüllungsgehilfinnen der primären männlichen Triebabfuhr wahr, sondern betonen die Freude an der eigenen Lust. Der Mann steht nicht im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens, ist als Motiv offenbar völlig uninteressant. Lediglich Silvia Heart setzt ihm in ihren Karikaturen ein Denkmal: als Schwanz auf Beinen.

Das Selbstbewußtsein der Frauen, das in den Bildern zum Ausdruck kommt und so sehr im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Stellung der Huren steht, zeigt, daß die Frauen trotz aller Diskriminierung „wissen, was sie leisten“, so Gala Breton. Mit ihrem geschulten Bewußtsein für Körper und ihren Fachkenntnissen von sexuellen Problemen aller Art könnten die Sexpertinnen – würde ihr Wissen erst einmal anerkannt – „neue Wege im Umgang mit der Sexualität aufzeigen“.

Wie viele andere Huren-Aktivistinnen auch fordert Breton deshalb die Anerkennung der Prostitution als Beruf und eine Ausbildung mit einem besonderen Sexpertinnen-Diplom. „Wir könnten unter anderem praktische Sexualtherapie anbieten. Auch für Sexualstraftäter oder solche Männer, die von sexuellen Gewaltphantasien verfolgt werden und somit potentiell gefährlich sind. Wir könnten damit eher umgehen als die meisten anderen Frauen und durch Rollenspiele manches erreichen.“ Gala Breton ist sicher, daß eine gute Sexpertin in wenigen Sitzungen mehr bewirken kann als so manche traditionelle Therapie in Jahren.

Einige Frauen haben therapeutische Programme wie etwa Tantra-Sex, bereits im Angebot. In der Ausstellung geben anonyme Briefe von Kunden, die an einem solchen Therapieworkshop teilgenommen haben, Auskunft über die Not, mit der Prostituierte manchmal konfrontiert sind und die sie auffangen müssen. So schreibt einer der Kunden: „Ich sehne mich nach weiblicher Wärme und Geborgenheit. Das habe ich schon jahrelang entbehrt. Angst habe ich vor Versagen, denn ich habe so lange keine sexuellen Beziehungen mehr gehabt.“ – Ein Bekenntnis, das durchaus repräsentativ ist. Die Hure als Heilerin ist eines der Imagos, das Gala Breton den sittsamen Mitmenschen über die Kunst vermitteln will.

Neben der politischen Aussage dieser Veranstaltung geht es natürlich auch um die Förderung von Künstlerinnen. Die Organisatorin hofft, zum einen eine Vernetzung unter den Künstlerinnen zu erreichen und zum anderen Galeristen und andere KunstkennerInnen auf die kulturschaffenden Stricher und Huren aufmerksam zu machen. Denn ihre Kunst ist zumindest für einige von ihnen nicht nur ein nettes Hobby, sondern durchaus eine Perspektive für ein Leben nach der Prostitution.

Noch steht das ganze Unternehmen finanziell auf sumpfigem Boden. Deshalb reist Breton derzeit durch die Republik, um das benötigte pekuniäre Fundament für ihren „Tempel der Lüste“ zu schaffen.

SpenderInnen, die sich an der Finanzierung beteiligen möchte, haben die Wahl zwischen einer ganzen Reihe offener Posten. Wer sich berufen fühlt, Licht ins Dunkel zu bringen, ist mit 12.000 Mark dabei; das erotische Backwerk plus Sekt und Früchte ist für 5.000 Mark zu haben. Zuwendungen, die auf Wunsch diskret behandelt werden, nimmt Gala Breton gerne entgegen.

Die Ausstellung findet vom 13. Oktober bis zum 6. November 1994 im Tacheles und in den Hackeschen Höfen in Berlin- Mitte statt. Generöse Menschen können sich an Gala Breton wenden unter der Nummer: 030/ 2829991

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