Man könnte zwischendurch ganz froh nach Hause gehn

■ Mit „Alles Lügen“ eröffnete die Bremer Shakespeare Company die neue Spielzeit

Aus welchem Grund auch immer Shakespeare seine 154 Sonette geschrieben hat - und es ist dabei immer noch strittig, an wen sie sich eigentlich richten - eines ist gewiß, er hat sie nicht fürs Theater geschrieben. Wüßte er von der Premiere der Shakespeare Company, mit der am Leibnizplatz die 11. Spielzeit anhebt, er würde wahrscheinlich in seinem Grabe rotieren. „Alles Lügen“ ist zwar ein reißerischer Titel für 35 Sonette und einen Schauspieler - aber ein Stück ist es deshalb noch nicht.

Im Theater am Leibnizplatz sitzen die Zuschauer diesmal hinter der Bühne, blicken also von hinten auf den Vorhang. So ist die backstage-Szene, mit der der Sonette-Abend unter der Regie von Rainer Iwersen beginnt, auch bühnenarchitektonisch konsequent inszeniert. Wie in einer Vorrede sehen wir den Künstler im Shakespearekostüm leiden. Jedesmal, wenn das Publikum die Hände regt, stürzt der Akteur an den Vorhangspalt, in der Hoffnung, das Händeklatschen würde noch einmal anschwellen, und ihn, den Star des Abends, ins Rampenlicht locken. Hinter den Kulissen sehen wir seine Frustration, das beleidigte Schulterzucken, als er einsehen muß, daß nur zwei Vorhänge drin sind. Dann ist es vorbei - er geht sich abschminken. Und das eigentliche Stück beginnt.

Renato Grünig, der Solo-Schauspieler in „Alles Lügen“ wechselt die Vorhangseite und sitzt nun als Zeitgenosse Künstler mit Drei-Tage-Bart im verschwitzten T-Shirt am Make-up-Tischchen. Und beginnt seine One-Man-Show.

Überaus komische Seiten gewinnt der Protagonist den Themen der shakespearschen Sonette ab. Liebe und Tod, wer kann bei dieser schwergewichtigen Mischung schon ernst bleiben. Da wird die verflossene Geliebte in Rage angebetet, geradezu ein Feuerwerk der Leidenschaft für sie entzündet, und dabei hat der sprachgewaltige Liebhaber vergessen, daß er in der erhobenen Faust noch die angebissen Salamiwurst hält. Dies Sonett hören wir dann in gekauter Form.

Renato Grünigs heroischer Kampf mit den schön gereimten, aber nicht gerade spielfreundlichen shakespearschen Sonetten wird zur Ein-Mann-Offensive und bietet dabei alles auf, was an schauspielerischen Registern gezogen werden kann. Slapstickeinlagen, aber auch eine ungeheure Bandbreite an rezitatorischen Fähigkeiten, vom kleinlauten Jammern bis zur auftrumpfenden Prahlerei retten die Stimmung und amüsieren das Publikum über Strecken. Ihr Möglichstes trägt dazu auch die Übersetzung des Regisseurs Rainer Iwersen bei, die einen erfrischend freien und gegenwärtigen Ton findet.

Zum Subthema des Abends scheint der Umgang mit Requisiten geworden zu sein. Immer wieder braucht es technische Hilfsmittel ein szenischer Vorwand muß geschaffen werden, um die monologisch geschriebenen Gedichte laut vortragen zu können. Ein Warenlager kommt zum Einsatz: Bücher, stapelweise, elektrische Schreibmaschine, Diktiergerät, Fernseher und letztendlich das Telefon. Als dieses dann zum dritten Mal bemüht wird, um „Sonette an abwesende Geliebte“ hereinzuflöten, macht der Requisitenaufwand das Manko der Inszenierung klar.

Die Bremer Spezialisten setzen nach zehn Jahren Erfolg und Erfahrung in Sachen Shakespeare und Theater auf Gedichte. Die gehören aber immer noch der Text-Kategorie, „geht besser mit geschlossenen Augen“ an. Und es fragt sich, ob tatsächlich jede Fußnote von Shakespeare auf die Bühne muß.

Susanne Raubold

Nächste Vorstell. 17.9, 19.30 Uhr