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Kinderfest oder ritualisiertes Alibi?

■ Diskussionen vor dem großes Kinderfest am Sonntag am Brandenburger Tor

„Auf die Kinder kommt es an“ – zumindest einmal im Jahr, und das ist übermorgen: Unter diesem Motto wird aus Anlaß des Weltkindertages das Zentrum Berlins, der Pariser Platz und Unter den Linden, für einen Tag zur Spielwiese für alle – vom Dreikäsehoch bis zur pubertierenden Göre sowie strahlenden und genervten Eltern. Rollbahnen, Kletterwände, Sandkästen, Spiel- und Basteltische, Musik, Theater und Zirkus lockten im vergangenen Jahr an die 200.000 Besucher an. In diesem Jahr soll alles noch größer werden.

Die Tatsache, daß Kindern an so exponierter Stelle ein Platz eingeräumt wird, wurde im Vorfeld des Weltkindertages – von dem übrigens niemand weiß, warum es ausgerechnet der 20. September ist – bereits zum Politikum. Mit vereinten Kräften hatten sowohl das Bezirksamt Mitte als auch die Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe versucht zu verhindern, daß Deutschlands größtes Kinder- und Familienfest den Autoverkehr blockiert. Die Straße Unter den Linden sollte nicht gesperrt werden. „Auf dringenden Wunsch der Verkehrssenatsverwaltung“ sah sich das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW), zusammen mit RTL Television, Veranstalter des Festes, gezwungen, schriftlich zu verzichten: Die zentrale Hauptveranstaltung am Brandenburger Tor findet in den nächsten Jahren nicht statt. Für diese Zusage bekam das Hilfswerk noch einmal den Segen von Verkehrssenator Haase für die Veranstaltung in diesem Jahr.

Das Bezirksamt Mitte zog bis vor das Berliner Verwaltungsgericht: Per einstweiliger Anordnung wurde es daraufhin am Montag dieser Woche dazu verdonnert, den Veranstaltern eine Sondernutzungserlaubnis zu erteilen und die Straße freizugeben. Begründet wurde dies damit, daß es sich nicht um ein normales Volks- oder Straßenfest handele. Statt dessen, so der Beschluß, sollten dort „wichtige und gesellschaftspolitische Themen in der Öffentlichkeit angesprochen werden“. Folglich falle das Fest auch unter das Versammlungsrecht.

So hatte sich das DKHW das auch vorgestellt: „Die Kinder sollen auch thematisch im Mittelpunkt stehen“, erklärte Rainer Wiebusch, Bundesgeschäftsführer des DKHW, gegenüber der taz und verwies auf den „kinderpolitischen Charakter“ des Weltkindertages als Forum für Forderungen von Kindern: nach mehr Spielplätzen, Verkehrsberuhigung, besseren Schulen und brauchbaren Freizeitangeboten, nach einer kinderfreundlichen Stadt eben. Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) und andere werden auch in diesem Jahr wieder anwesend sein und vermutlich ganz, ganz, ganz geduldig zuhören.

So sicher sich Wiebusch über die Ausstrahlungswirkung der Kindermünder ist, kritisieren andere den Weltkindertag als ritualisierte Alibiveranstaltung: Politiker beschwörten einmal im Jahr die Interessen der Kinder, und von den wirklichen Problemen – Gewalt auf der Straße und in Familien, Abbau von Freizeitangeboten, immer rücksichtsloserer Verkehr – werde nicht geredet, protestierte der „Kinderring“ im vergangenen Jahr am Weltkindertag.

Ob Politikum, Forum oder Fete, die Besetzung am Sonntag kann sich sehen lassen. Nach gewiß ganz spannenden Eröffnungsreden, unter anderem von Diepgen und Krüger, wird die Bühne der Kinderrevue des Friedrichstadtpalastes überlassen. Um 14 Uhr tritt der Kinderzirkus „Juxirkus“ auf, um 16 Uhr die Kindershow „Eddy & Family“. Neben der Aktionsbühne, den Spiellandschaften und Karussells wird ein Kindermedienzentrum aufgebaut. Ab 13 Uhr moderieren dort Kinder Talkshows, unter anderem mit Volker Ludwig, Leiter des Grips-Theaters, Sergej Bubka, Olympiasieger im Stabhochsprung, Flori und Fritzi Eichhorn, Hauptdarstellerinen des Films „Das doppelte Lottchen“, Redakteuren von Kinderzeitungen, Vertretern von Greenpeace sowie terre des hommes. Ab 18 Uhr dürfen wieder Autos fahren. Jeannette Goddar

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