Mit Scheckbuch zum Diplom

■ Von aufmunternder Beratung bis zur kompletten Examensarbeit - Ghostwriter bieten alles / Mangelnde Betreuung an den Unis schafft eine Marktlücke

Die Inserate erscheinen in Tageszeitungen, Stadtmagazinen und Uni-Zeitschriften zumeist unter der Rubrik „Verschiedenes“. „Wissenschaftliche Dienste“ werden da angeboten, von „Korrekturlesen“ ist die Rede und von „Schwierigkeiten mit dem Manuskript“. Doch immer häufiger gibt sich der „Ghostwriter“ für „Diplom- und Magisterarbeit“ oder „Texte für Wissenschaft, Beruf, Studium“ ganz offen zu erkennen.

So verschieden wie die Anzeigentexte sind auch die Dienstleistungen, die die heimlichen Helfer offerieren. „Die Bandbreite reicht von aufmunternder Beratung bis zur kompletten Arbeit“, sagt Hermann Heimlich, der gerade die Diplomarbeit für eine Psychologin schreibt, die längst von der Uni ins Erwerbsleben wechselte – nur das Examen fehlt ihr noch. Er bespricht jeden Abschnitt mit seiner Kundin, die dann auch eigene Anregungen beisteuert. „Zu zweit macht's viel mehr Spaß“, freut er sich. Noch vergrößert wird die Freude dadurch, daß er „so viele Stunden machen kann, wie ich will“ – zu jeweils 35 Mark. 10.000 Mark wechselten so in diskreten Umschlägen den Besitzer. Bis seine Klientin ihr Diplom in der Tasche hat, wird sie wohl weitere 5.000 Mark ausgegeben müssen, schätzt Heimlich und beruhigt sein Gewissen: „Andere verlangen pauschal zwischen 20.000 und 40.000 Mark.“

„Das ist kein Markt, wo man viel Geld verdienen kann“, meint dagegen Gustav Geist. Kein Wunder, betreibt der frühere Hochschuldozent das Geschäft eher mit pädagogischem als mit kommerziellem Eifer. „Ich mach' das, um meinen Geist fit zu halten“, sagt der Uni-Aussteiger. Fertige Arbeiten sind bei ihm nicht zu haben, statt dessen „Beratung, Betreuung und Hilfe bei der Strukturierung“.

An Gruppenarbeit und Projektberichte gewöhnt, könnten die Studierenden heutzutage keine Hausarbeiten mehr schreiben, klagt der Ex-Linke: „Das sind die Fehler unserer eigenen Hochschulpolitik.“ So wird der Ghostwriter zum Therapeuten. „Je früher die Leute kommen, um so besser“, rät Geist den Patienten, ihn schon bei der Themenwahl zu konsultieren. Auch wenn Geist „von Haus aus Perfektionist“ ist, weiß er, daß das Niveau dem intellektuellen Format des Kandidaten entsprechen sollte. Wer keine Leuchte ist, spart bares Geld – eine „zweit- oder drittklassige Arbeit“ ist billiger zu haben. Eine bloße Betreuung ist dagegen bei Sibylle Schreiber nicht zu haben: „Mir ist das zu nervig, ich kann verstehen, warum die Profs das nicht machen.“ Aus welchen Gründen ihre Kunden sich das Diplom nicht selbst erschreiben und woher das Geld für ihre Dienste stammt, weiß sie nicht. „Das ist mir völlig egal, Hauptsache, sie haben den Scheck dabei.“ Ohne eine Anzahlung setzt sie ihre grauen Zellen gar nicht erst in Aktion. Denn die Frau, die für andere schreibt, läßt auch für sich schreiben, und „das Tippen muß ja auch wieder reinkommen“. Ab 10.000 Mark ist eine Examensarbeit gleich welchen Fachs zu haben, wenn die Literatur schon vorliegt. Die häufigsten Aufträge sind jedoch gewöhnliche Seminararbeiten in der Preislage ab 2.500 Mark. „Eigentlich ist das alles nur eine Übungssache“, findet Schreiber.

Dafür, daß sich manche Leute anderthalb Jahre in ihre Magister- oder Diplomarbeit hineinsteigern, hat sie nicht das geringste Verständnis. „Ich brauche vier Wochen zu. Die Leute überfordern sich mit ihren eigenen Ansprüchen. Aber ein Prof, der schon 500 Arbeiten gelesen hat, der liegt nun mal nicht platt auf dem Boden.“ Statt dessen sollten sie sich lieber überlegen, wieviel Geld sie in dieser Zeit verdienen können, findet sie, „da sind 10.000 Mark doch ein Klacks“. Kein Wunder, daß die Hochschulen eine solche Entmythisierung des akademischen Betriebs nicht wahrhaben wollen. Den drei Berliner Universitäten ist nach eigenen Angaben kein einziger Fall bekannt, in dem fremde Urheberschaft an einer Examensarbeit nachgewiesen werden konnte. „Es ist aber auch so gut wie unmöglich, Kontrollinstrumente einzuführen“, zeigt sich Hardy Grafunder von der FU-Rechtsstelle hilflos.

Der Ghostwriter ist ohnehin nicht zu belangen, doch auch beim Prüfling „kann man strafrechtlich nicht viel machen“; er muß allenfalls mit einer Geldstrafe wegen falscher eidesstattlicher Versicherung rechnen. Auch eine nachträgliche Aberkennung des Titels ist in Berlin schwierig. Das Berliner Hochschulgesetz ermächtigt den Wissenschaftssenator zwar, den Entzug in einer Verordnung zu regeln – doch die hat er noch nicht erlassen. Ralph Bollmann