: „Bei uns hat eben die Kirche das Sagen“
■ Österreichs Politiker streiten vor der Wahl über das Recht auf Abtreibung
Wien (taz) – Reinhold Klein ist einer der wenigen Ärzte in Österreich, die Abtreibungen durchführen. Bei vielen seiner Kollegen sind Schwangerschaftsabbrüche tabu. Der Gynäkologe in einer österreichischen Kleinstadt kann sich daher über den Andrang nicht beschweren. In seiner Praxis warten pro Woche Dutzende Frauen aus dem ganzen Land auf den Eingriff.
Kleins Niederlassung ist aber nicht nur für Schwangere eine begehrte Adresse, sein Name ist auch bei den Pro-Life-Aktivisten bekannt. Doch der Arzt nimmt die vielen Drohbriefe, die ihm die Abtreibungsgegner in regelmäßigen Abständen schicken, nicht ernst. „Da müßte ich ja ständig unter Polizeischutz stehen“, meint er. Der Gynäkologe hat es in seinem Beruf nicht leicht. Denn „wer Abtreibungen durchführt, der ist gesellschaftlich diskreditiert. Da muß man sehr stark sein, um das durchzustehen. Bei uns hat die Kirche eben das Sagen.“
In Österreich jährt sich dieser Tage zum 20. Mal das Inkrafttreten der Fristenlösung. Seit 1974 kann eine Schwangerschaft in den ersten drei Monaten unter ärztlicher Aufsicht straffrei abgebrochen werden. Rechtzeitig zum Jubiläum ist die Debatte darüber neu entflammt. Die von Frauen Anfang der 70er Jahre geforderte Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist nicht erreicht worden. Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern die Umsetzung. In vielen Teilen der Alpenrepublik ist es bis heute nicht möglich, daß Ärzte die Fristenlösung praktizieren. So sind in vielen Bundesländern, wo der Landeshauptmann von der konservativen Volkspartei (VP) gestellt wird, Abtreibungen praktisch ausgeschlossen. Keines der öffentlichen Krankenhäuser darf dort Anlaufstelle für Frauen in Not sein.
Dagegen regt sich nun Widerstand. Zumindest in Vorarlberg hat die oppositionelle Sozialistische Partei (SPÖ) im Vorfeld der Landtagswahlen am morgigen Sonntag das Recht auf Abtreibungen zum Wahlkampfthema gemacht. „Schluß mit der Scheinmoral!“ fordert sie auf großflächigen Plakaten und Handzetteln. Die aus Vertretern der VP und der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei (FPÖ) bestehende Regierung in Bregenz reagierte prompt: Als „europäische Kulturschande“ kanzelte der designierte FPÖ-Klubobmann Bösch die Fristenlösung ab. VP-Landesparteichef Sausgruber beharrte auf der „lebensbejahenden Gesinnung“, Schwangerschaftsabbrüche dulde er in dem Land nicht. Und der katholische Bischof von Vorarlberg, Küng, will Abtreibungen generell verbieten lassen. In diesem Klima überraschte es nicht, daß Hunderte SPÖ-Plakate mit „Kindermörder“-Parolen beschmiert wurden.
Vorarlbergs Frauen denken anders: 58 Prozent der Bürgerinnen sprachen sich 1992 in einer Umfrage für eine Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch aus. Auftraggeber der Studie war die Landesregierung selbst.
„Daß die Frauen für den Eingriff bis ins 800 Kilometer entfernte Wien flüchten müssen, ist eine Schikane“, argumentiert die sozialistische Landtagskandidatin Fussenegger in Bregenz. Die weite Anreise und der höhere Zeitaufwand, der einigen Einfallsreichtum bei Ausreden gegenüber Arbeitgeber, Verwandten und Bekannten verlangt, verstärke den psychischen Druck zusätzlich. So ist in Österreich nach 20 Jahren Fristenregelung nur eines sicher: Ob Frauen offen und in der Nähe ihres Wohnortes abtreiben können, hängt davon ab, welche Partei in ihrem Bundesland regiert. Christian Höller
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen