piwik no script img

Ein blauer Ritt am Himmel

■ Im Museum des modernen Theaters: Wassily Kandinskys romantisches Bühnenstück "Violett" wurde im Sprengel-Museum Hannover uraufgeführt.

Der Kritiker zögert, als er seinen neuen Arbeitsplatz betritt: Nie wollte das Theater ein Museum genannt werden, noch nicht einmal das Berliner Ensemble. Nun aber will das Museum Theater spielen.

Vielleicht ist die Aufführung nur Teil einer Ausstellung? Thema: Kandinsky als Theatervisionär. Einiges ist über dessen Traum vom „monumentalen“ Gesamtkunstwerk bekannt. Im Almanach „Der blaue Reiter“ wurden 1912 seine Thesen „Über Bühnenkomposition“ gedruckt, 1928 räumte er als Regisseur von „Bilder einer Ausstellung“ mit den „Pappendeckeldekorationen“ auf. Doch die eigenen, zwischen 1908 und 1914 entstandenen Werke wurden erst posthum aufgeführt. Mit großem Erfolg. Doch ohne Wirkung.

Um das zu ändern, lädt nun der Verein „Kunst und (!) Bühne“ im Sprengel-Museum zur Uraufführung des „romantischen Bühnenstücks“ „Violett“. Der Spezialist für neues Musiktheater und Dadaismen, Franz-Josef Heumannskämper, führt Regie, fürs Bühnenbild sorgt Thomas Emde, und viele Mitarbeiter arbeiten mit „für einen Bruchteil ihrer normalen Gage“. Und versprechen trotzdem eine Bühnensynthese aus Klang, Farbe, Bewegung. Sieben Bilder, zwei Zwischenspiele, eine Apotheose.

Und so sieht das aus: Die Bühne ist ein Farbraum. Vor schwarzem Hintergrund stehen drei Leinwände, die während des fünfundsiebzigminütigen Spiels wechselnd pastellfarben leuchten. Links rot, Mitte grün, bald strahlt der Raum in Weiß, bald versinkt alles in mattem Blau. Auch die Menschen, die sich hierher verlaufen haben, scheinen wie aus dem Tuschkasten gezogen. Eine Dame in Weiß fixiert streng das Publikum. Blaue Beduinenfrauen marschieren im Gänseschritt diagonal über die Bühne. Ihnen folgen putzige Marsmenschen in roter Kutte mit einem zitronengelben Helm. Ein grünlicher Reiter ohne Pferd trappelt über die Szene. Und eine Horde Bauern plagt sich mit einer wundersamen roten Kuh aus Holz, deren Euter ungesund blau gefärbt ist. Gelegentlich sprechen diese exotischen Exemplare der Menschheit. „Noch nicht geboren, den Geist verloren“, wiederholt ein Greis, der sich die Augen zuhält. Ein Glatzkopf in Schwarz redet wie der Tod vom „Geheimnis der schwarzen Barke“. Eine Kinderstimme fragt frech: „Wo ist der Anfang, wo ist der Schluß?“ Während dieser aufschlußreichen Texte ist gelegentlich Straßenlärm zu vernehmen, Traktorengeräusch vom Band, vermischt mit live gespielten Schlaginstrumenten. Gedröhn, Geklirr, rhythmisch, kraftvoll, von William Pearson erfunden, ironisch, witzig. Mit Pausen und Pistolenschuß.

Kandinskys Vision als Medienwissenschaft

Doch der Höhepunkt ist die Apotheose, das Finale auf Video, das vom Institut für Medienwissenschaft aus Braunschweig beigesteuert wurde. Um Kandinskys Visionen zu bebildern, wurde ein Malprogramm bemüht: Ein blauer Ball wird von einem roten Punkt neugierig umkreist, der in ihn schließlich wie eine kranke Zelle eindringt und ihn auffrißt. Währenddessen warnt ein Männerchor von der Bühne herunter: „Seht, seht daaa-aa-s Rrrr-oo-oot;“ worauf der Chor der Frauen entwarnt: „Nicht verschwinden kann daaa-aa-s Blllllaa-aau.“

Das alles ist nun ziemlich befremdlich. Bald tänzerisch leicht, bald pathetisch schwer, bald wichtigtuerisch bedeutsam. Und auch ein wenig schülerhaft in der Ausführung. Doch mit etwas Wohlwollen kann man die formale Kühnheit eines Avantgardisten von gestern erkennen. Man kann Kandinsky mit Richard Wagner und Edward Gordon Craig vergleichen, in ihm den Großvater der Bilderfinder Achim Freyer oder Robert Wilson ausmachen. Und die Veranstaltung als ein theaterhistorisches Praxisseminar loben.

Was so allerdings unterschlagen wird, ist, daß Kandinsky ja ein Künstler war mit ausgesprochenem Sendungsbewußtsein, denn: „Nicht die Form ist wichtig, sondern der Inhalt.“ Und: Die „Kunst ist sinnvoll und zweckmäßig“. Deswegen forderte er auch eine geistige Wendung, keine politische; er hatte leider nicht Marx, sondern Rudolf Steiner gelesen. Und sah den Künstler als eine Art Messias, ein blauer Reiter zum Himmel, wie ein Kritiker spottete, der mit Form und Farbe die Menschen zu kurieren versprach; ihre Seelen sollten zu „inneren Vibrationen“ angeregt werden. Und so sind seine Bühnensynthesen nicht als vermeintliche Beispiele des abstrakten Theaters zu verstehen, sondern nur symbolistisch.

Ein mystischer Appell ans innere Sehen

Kandinsky hatte jeder Farbe, jeder Form, jeder Bewegung, jedem Klang eine Bedeutung unterlegt. Rot hieß unruhig, Gelb irdisch, Blau himmlisch; eine Horizontale steht für Kälte, eine Vertikale für Wärme. Und Violett bedeutet nach seiner Grammatik etwas „Krankhaftes“, etwas „Trauriges“ und charakterisiert im Stück eine Gesellschaft, die allein materiell orientiert ist, spirituell verarmt: „Schaut nicht auf die Bäume in der Luft“, singt ein Chor vor himmelblauer Leinwand, „schaut aber auf die Bäume im Wasser. Wie ihre Äste, Blätter, Nadeln sich verwandeln.“ Ein mystischer Appell an das innere Sehen. Von alledem ist in der Inszenierung nichts zu spüren. Franz-Josef Heumannskämper führt nur Formen und Farben auf, läßt ein Kaleidoskop der Menschheit defilieren, setzt als gelehriger Interpret die geforderten Wiederholungen, Brechungen und Antithesen in Gang, doch mehr als eine Kandinsky-Maschine ist im Sprengel-Museum nicht zu bestaunen. Da mag es auf der Bühne grün und orange flackern, „Innere Vibrationen“ stellten sich nicht ein.

Das letzte Wort zu diesem Besuch im Theatermuseum, das doch irgendwie einer Ausstellung glich, hat Kandinsky selbst. Auf Seite eins des Buches „Über das Geistige in der Kunst“ steht: „Eine Bestrebung, vergangene Kunstprinzipien zu beleben, kann höchstens Kunstwerke zur Folge haben, die einem totgeborenen Kinde gleichen. Wir können unmöglich wie die alten Griechen fühlen.“ Oder wie der alte Kandinsky, denkt der Theaterreisende und verspürt die heftigen Vibrationen des Zuges. Dirk Nümann

„Violett“. Regie: Franz-Josef Heumannskämper; Musik: William Pearson; Bühne: Thomas Emde. Nächste Vorstellungen: 21.9. – 2.10. im Sprengel-Museum; 7. – 9.10. Junges Theater Düsseldorf, 10./11. 10. South Bank Centre London.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen