: Garantiert „kinderarbeitsfrei“
Kinder in die Schulen und Erwachsene in die Teppich-Knüpfereien lautet die Devise der deutsch-indischen „Rugmark“-Initiative ■ Von Hugh Williamson
Wer sich einen Teppich kaufen will, kann bald seinen Boden mit „kinderarbeitfreier“ Ware aus Indien bedecken. Diese Teppiche sind mit dem Kennzeichen „Rugmark“ versehen, das von einer indischen Hilfsorganisation entwickelt worden ist. Spätestens im November, sagen Mitarbeiter der deutschen „Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ (GTZ), werden die Teppiche in den Geschäften der Bundesrepublik ausliegen.
Die Rugmark-Stiftung ist am 5. September in Delhi offiziell gegründet worden. Indische Teppichproduzenten können sich jetzt darum bewerben, diese Kennzeichnung führen zu dürfen. Wenn sie die strengen Registrierungs- und Überwachungsprozeduren durchlaufen haben, dürfen sie deutsche und andere Importeure mit Rugmark-Teppichen beliefern. Die Ware wird etwa fünf Prozent teurer sein als die herkömmliche. Die VerbraucherInnen können sicher sein, daß ihre Teppiche von Erwachsenen geknüpft worden sind, die dafür wenigstens einen vereinbarten Mindestlohn erhalten haben. Und sie wissen, daß ein Teil des Preises darauf verwandt wird, Ausbildungs- und Rehabilitationszentren für Kinder zu schaffen, die als TeppichknüpferInnen gearbeitet haben.
Wenn die Rugmark-Initiative erfolgreich ist, wird sie voraussichtlich auf andere teppichproduzierende Länder in Süd- und Südostasien und im Nahen Osten ausgedehnt werden. Hersteller in Nepal haben bereits Interesse gezeigt, sich dem Projekt anzuschließen. „Rugmark ist das Ergebnis jahrelanger Kampagnen in Indien, Deutschland und andernorts. Natürlich ist das noch nicht das Ende der Kinderarbeit, aber es ist ein wichtiger Durchbruch“, sagt Kallash Satyarthi, der die „South Asian Coalition on Child Servitude (SACCS) leitet, die indische Partnerorganisation von Rugmark. Satyarthi war Anfang September nach Aachen gekommen, um dort den mit 10.000 Mark dotierten Friedenspreis der Stadt entgegenzunehmen.
Zwischen 100 und 200 Millionen Kinder dieser Erde arbeiten, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation ILO. Millionen sind in Teppichknüpfereien beschäftigt; mindestens 400.000 im wichtigsten „Teppichgürtel“ Indiens, dem nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh. Indien und Nepal, die führenden Anbieter locker geknüpfter Teppiche niedriger Qualität, die vorwiegend von Kindern hergestellt werden, haben 60 Prozent der im vergangenen Jahr nach Deutschland importierten 12,8 Millionen Quadratmeter Knüpfware geliefert. 1980 waren es noch 29 Prozent. Der Wert aller eingeführten Teppiche lag 1993 bei 1,5 Milliarden Mark. Deutschland und die USA sind die wichtigsten Abnehmer indischer und nepalesischer Teppiche.
In der indischen Rugmark-Stiftung arbeiten Vertreter der Teppichproduzenten mit indischen und internationalen Hilfsorganisationen und dem deutsch-indischen Exportförderungsprojekt IGEF zusammen. Letzteres ist ein Gemeinschaftsunternehmen zwischen dem indischen Handelsministerium und der GTZ. Die Motive der Produzenten sind verschieden: Die meisten der Beteiligten beschäftigen Kinder, merken aber, daß der internationale Druck wächst und es Zeit ist, neue Marktchancen zu suchen. Bei Rugmark sind vorwiegend kleine Produzenten vertreten, 50 von ihnen haben vor zwei Jahren einen Verein der „kinderarbeitfreien“ Teppichhersteller gegründet. Die großen Firmen sperren sich bislang jedoch gegen dieses Projekt.
Daß es eine Nachfrage für diese Teppiche gibt, ist der jahrzehntelangen Informationsarbeit durch Entwicklungsorganisationen wie Brot für die Welt, Misereor und Terre des hommes zu verdanken. Diese haben sich zur deutschen Rugmark-Unterstützungskampagne zusammengeschlossen. Verbraucherorganisationen, Dritte- Welt-Gruppen und Gewerkschaften unterstützen das Projekt. In Bonn drängen SPD und die Grünen die Regierung, sich hinter den Vorstoß des Europaparlaments zu stellen, mit gesetzlichen und handelspolitischen Maßnahmen die Einfuhr von Waren zu stoppen, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden. Bis Ende des Jahres soll ein Bericht der Regierung vorliegen.
Die Teppichhändler haben durch ihren Berufsverband der Orientteppichimporteure ihre Unterstützung zugesagt und vorgeschlagen, einen zweiprozentigen Aufschlag auf den Preis zu erheben, der in einen „Entwicklungsfonds“ für die Rehabilitation ehemaliger KinderarbeiterInnen fließen soll. Einige der Firmen bemühen sich jedoch sehr, Rugmark zu diskreditieren. Klaus Heidel von der Heidelberger Werkstatt Ökonomie aber ist zuversichtlich: „Anders als andere Kampagnen für fairen Handel sind wir sehr pragmatisch und suchen den kleinsten gemeinsamen Nenner, um konkrete Ergebnisse zu erzielen.“
(siehe auch Seite 8)
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