piwik no script img

Clinton zufrieden, Aristide frustriert

■ "Das sieht ja total friedlich aus", bemerkten CNN-Seher bei den Live-Bildern von der Besetzung Haitis / Jetzt ist die Frage, ob sich nach Clintons Kompromiß mit Cedras' Junta und mit Hilfe von ...

„Das sieht ja total friedlich aus“, bemerkten CNN-Seher bei den Live-Bildern von der Besetzung Haitis / Jetzt ist die Frage, ob sich nach Clintons Kompromiß mit Cédras' Junta und mit Hilfe von deren Soldaten eine Demokratie installieren läßt

Clinton zufrieden, Aristide frustriert

Es war kurz nach 20 Uhr, die Fernsehsender hatten ihre „Sunday movies“ unterbrochen, um die frohe Kunde zu verbreiten: Die US-Invasion in Haiti wurde in letzter Sekunde dank eines Abkommens zwischen Haiti und den USA in einen freundlichen Einmarsch umgewandelt. „Die Generäle Aristide und Biamby“, sprach der Nachrichtenmoderator, „werden zurücktreten.“ Ob da jemand am Teleprompter herumgefummelt hatte oder der gute Mann einen Freudschen Versprecher produziert hatte, war auf die Schnelle nicht in Erfahrung zu bringen. Den meisten Zuschauern ist der Fehler womöglich gar nicht aufgefallen, zumal man in den letzten Wochen oft den Eindruck bekam, daß der Abtritt Jean-Bertrand Aristides der amerikanischen Öffentlichkeit ebenso wichtig ist wie der Abgang der Putschisten. Die jedoch dürfen nach dem diplomatischen Showdown vom Wochenende noch bis zu vier Wochen bleiben. Erst nach Verabschiedung eines Amnestiegesetzes für alle Militärs müssen Militärführer Raoul Cédras und sein Stellvertreter Philippe Biamby ihre Posten räumen. Sollte das Gesetz nicht in den nächsten Wochen zustande kommen, gilt der 15. Oktober als Rücktrittsdatum.

So sieht es jenes Abkommen vor, auf das sich die Clintonsche Vermittlungsdelegation unter Leitung von Ex-Präsident Jimmy Carter am Sonntag nach mehreren Verhandlungsrunden mit Cédras und Biamby einigten, um einen feindlichen Einmarsch der US- Truppen zu verhindern. Unterzeichnet wurde die Vereinbarung nach Angaben der Washington Post von Carter und Emile Jonaissant, dem von dem Militärs eingesetzten Premierminister, der von US-Seite bislang völlig ignoriert worden war.

US-Präsident Bill Clinton pries das Abkommen in einer Fernsehansprache am Sonntag abend als Kombination aus diplomatischem Geschick und militärischer Entschlossenheit. Erst die Information, daß die ersten Fallschirmspringer-Einheiten der „82nd Airborne Division“ in Fort Bragg, North Carolina, gestartet seien, hätte die Putschführer zum Einlenken bewegt.

Während das Abkommen in den USA als Erfolg gefeiert wird, reagierte Jean-Bertrand Aristide gegenüber Clintons Sicherheitsberater Anthony Lake mit verständlicher Frustration: Die Vereinbarung gestattet sowohl Cédras als auch Biamby, im Land zu bleiben. Polizeichef Michel Francois, der nicht an den Verhandlungen teilgenommen hatte, wird überhaupt nicht erwähnt. Er soll mittlerweile in Port-au-Prince untergetaucht sein.

Am meisten dürfte den haitianischen Präsidenten der zweite Absatz des Abkommens beunruhigen, wonach die haitianischen Militär- und Polizeikräfte eng mit den US-Militärs kooperieren werden. „Diese Kooperation unter dem Zeichen gegenseitigen Respekts wird für die Übergangsperiode andauern, die zur Sicherung vitaler Institutionen des Landes nötig ist.“ Soll heißen: Die „multinationale Einsatztruppe“ aus 15.000 überwiegend US-amerikanischen Soldaten, die gestern in Haiti an Land gehen sollte, wird in den nächsten Wochen mit einem haitianischen Militär zusammenarbeiten, das weiter unter dem Kommando der Führer des Militärcoups steht. Aristide sieht sich nun mit der grotesken Aussicht konfrontiert, daß die US-Truppen zusammen mit den Putschisten jenes „Umfeld der Sicherheit und Stabilität“ schaffen sollen, das laut UNO-Resolution 940 zur Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse nötig ist.

In seinen drei Exiljahren sind dem haitianischen Präsidenten von Washington immer wieder Zugeständnisse abgepreßt worden, die vor allem die haitianische Wirtschaftselite mit der Aussicht auf seine Rückkehr versöhnen sollte. Der Prediger Aristide, dessen politische Erfahrung und Hang zu politischer Pragmatik zu Beginn seiner Amtszeit zweifellos gering waren, hat im Exil einen Crashkurs in US- Realpolitik bekommen: Der begann mit der ersten großen Enttäuschung, als Bill Clinton sein Wahlkampfversprechen, haitianische Boat people als Asylsuchende zu behandeln, brach; er setzte sich fort mit dem Abkommen von „Governors' Island“ im Juli letzten Jahres, als Aristide von Clinton gezwungen wurde, einer Amnestie für die Putschisten und der unmittelbaren Aufhebung des Embargos zuzustimmen. Das vorläufig letzte Zugeständnis mußte Aristide vor wenigen Tagen machen: Auf amerikanischen Druck akzeptierte er den Plan, 3.000 haitianische Soldaten und Offiziere als Mitglieder einer neuen Polizeitruppe zu übernehmen.

Die Professionalisierung von Polizei und Militär, die in Haiti vor allem in Menschenrechtsverletzungen geübt sind, ist zwar Bestandteil der UNO-Resolution 940. Damit dürfte kaum der bloße Austausch von Uniformen gemeint gewesen sein. Diese Aussicht beunruhigt Aristide-Berater um so mehr, als die neue Polizeitruppe kurz nach dem Einmarsch eingerichtet werden und nach dem Wunsch Washingtons mögliche Zusammenstöße zwischen Aristide-Anhängern und Unterstützern der Militärs schlichten soll. Die 15.000 Soldaten der „multinationalen“ Mission sollen nach einigen Monaten von 6.000 UN-Friedenssoldaten abgelöst werden. Auch dann dominieren die USA die Operation: Die Hälfte der Blauhelme werden US-amerikanische Soldaten sein, das Kommando der UN-Mission liegt ebenfalls in US- Händen.

Diese Fakten mindern derzeit keineswegs den innenpolitischen Applaus für Bill Clinton, der mit dem jüngsten Abkommen zweifellos seine angeschlagene Reputation als Außenpolitiker verbessert hat. Von konservativer Seite hatte man ihn heftig für die Invasionspläne kritisiert, weil die Rückkehr Aristides nach den Worten des republikanischen Fraktionsführers im Senat, Robert Dole, „nicht das Leben eines einzigen amerikanischen Soldaten wert“ sei. Diese Auffassung schien sich in den letzten Wochen zunehmend in den US-Medien durchzusetzen: In der Live-Berichterstattung aus Haiti kamen zuletzt überwiegend Cédras-Anhänger zu Wort, die meist in exzellentem Englisch und hellsten Farben die Ruhe und Ordnung auf Haitis Straßen seit dem Militärcoup priesen. Kaum ein US- Journalist fand den Weg in eines der Elendsviertel, wo die Mehrheit der Bevölkerung und die Anhänger Aristides seit drei Jahren eine Terrorkampagne der Militärs erleben. Friedensorganisationen wiederum hatten aus pazifistischer Überzeugung heraus gegen den geplanten Einmarsch demonstriert; viele liberale Kommentatoren hatten Clinton mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen, weil er das Votum des US- Kongresses umgehen wollte. Lediglich unter den Mitgliedern des „Black Caucus“, des Zusammenschlusses afroamerikanischer Abgeordneter, und im politischen Establishment des einflußreichen Bundesstaates Florida fanden sich mehrheitlich Unterstützer für eine Invasion. Erstere zählen zu den verläßlichsten Unterstützern Aristides, letztere wollen vor allem garantiert wissen, daß weitere Flüchtlingsbewegungen in Richtung US-Küste verhindert werden. Andrea Böhm, Washington

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen