: Silberlöffelkopfstand
Alles geht drunter und drüber bei „Pomp Duck and Circumstance“ – wie in München so auch in Berlin, wohin das Eß- und Clownsspektakel mittlerweile gewackelt ist. Für Sie in Bayern war ■ Klaudia Brunst
Vor dem Zelt macht ein englischer Gardesoldat Faxen. Sie sind nicht ganz so gut wie der frei Haus gereichte Kir Royal, mit dem es sich sich so hübsch einstimmen läßt auf das teuer bezahlte Happening. Immerhin 185 Mark kostet die Eintrittskarte zu „Pomp Duck and Circumstance“. „Bleibense mal ruhig noch draußen“, blafft Monsieur Lutz, Chef du table des Etablissements, die auf Einlaß drängenden Gäste an. „Drinnen ist es ja doch nur heiß und stickig.“
Das ist dann doch leicht untertrieben. Vor uns liegt nicht weniger als ein vierstündiges Eß- und Varieté-Spektakel, das sich drinnen im Zelt mit festlich gedeckten Tischen ankündigt: Die Löffel für den ersten Gang (Tomaten-Karotten-Suppe mit gebackenem Sellerie) liegen wohldrappiert auf dem Kopf. Keine Liederlichkeit des Service, kein Spaß der Direktion – nein, diese verkehrte Welt ist Programm. Denn hier soll nichts so sein, wie wir es gewohnt sind. Für unser teures Geld haben wir uns nämlich ein ganz neues Eßgefühl eingekauft, das nicht weniger will als die „Grenzen zwischen Bühne und Tisch“ aufheben.
Den „großen Schritt hin zum künstlerisch-kulinarischen Gesamtkunstwerk“ haben vor Nouvelle-cuisine-Koch Hans-Peter Wodarz, dem Erfinder von „Pomp Duck and Circumstance“, schon viele unternommen. Als das teure Drunter und Drüber, das manierierte „an“ und „auf“ der Nouvelle cuisine seine Faszination Anfang der Achtziger einzubüßen drohte, erfanden die in den roten Zahlen kochenden Tempelherrn der guten Küche kurzerhand die „Erlebnisgastronomie“: Da reichte man dann zum gezauberten Menü die „Belle-Époque-Kreuzfahrt auf dem Bodensee“, das Essen wurde zum untergeordneten Teil einer Restauration der fünf Sinne.
„Immer sieben Gänge“, so ließ sich auch Hans-Peter Wodarz vernehmen, das sei doch auf die Dauer langweilig. Und weil die Gäste das zunehmend auch so sahen und seinem Edelrestaurant „Ente am Lehel“ fernzubleiben drohten, suchte sich Wodarz ein weiteres finanzielles Standbein: Gemeinsam mit dem Circusfanatiker Bernhard Paul fand er das alte Spiegelzelt „Salon Zalou“, das in den dreißiger Jahren der belgischen Hautevolee zum abendlichen Tanzvergnügen am Strand gedient hatte, scharte eine vierzigköpfige Clownstruppe um sich und nannte das zusammengesottene Allerlei „panem et circenses“.
Was jetzt in Berlin serviert wird, hielt Wodarz schon in München vier Jahre lang für seine zahlreich strömenden vergnügungssüchtigen Gäste bereit: ein standardisiertes Vier-Gänge-Menü, das zwischen und während den circensischen Darbietungen seiner Truppe kollektiv und genußselig verspeist wird. Mit den kontemplativen Freuden der Nouvelle cuisine hat das zwar kaum mehr etwas gemein. Aber lustig ist es schon, wenn der französische Chefkoch wie ein gejagtes Huhn durch das Kreisrund des Zeltes rast, um seine Ente anzukündigen, wenn der Oberkellner sich in schönstem Sächsisch für die mageren Portionen entschuldigt und derweil das Küchenmädchen den Gästen die Handtaschen stibitzt.
Es sei nicht immer leicht, gegen die vielen guten Kollegen anzuspielen, erklärt uns eine der Duck- Clowns in der Spielpause. Jeder gegen jeden albert sich die Truppe den Abend über von Tisch zu Tisch, hartnäckig spielen die Spaßmacher ihre lustigen Rollen vom sexhungrigen Garderobenmädchen oder dem tumben Gastronomielehrling. Immer darauf bedacht, ein kurzes Tief in unserer Aufmerksamkeitskurve erhascht zu haben, lauern sie an den Tischen erst auf unseren Blick, dann auf unseren gnädigen Beifall für das auf die Dauer doch ermüdend komische Spektakel.
Jeder von unseren Alleinunterhaltern ist eine Klasse für sich. Kaum einer, der nicht schon als Solist große Säle gefüllt hätte. Aber das sind Erfolge von gestern. Hier sind allein die, die an den Tischen sitzen, wahrhafte Könige. Nicht nur einen Hofnarr, nein: gleich 85 Vasallen stehen allabendlich den Gästen von „panem et circenses“ bereit. Neben den Tischclowns hat Wodarz auch noch ein gutes Dutzend Varietékünstler der Extraklasse um sich geschart. Da wird mit Ringen jongliert, mit Flaschen musiziert, junge Menschen fliegen an Trapezen durch die Zirkuskuppel und balancieren mit Stühlen dem Zelthimmel entgegen. Zwischendurch kommt mit viel Pomp die Ente, mit viel Trara das Dessert – nur die bald sehnlichst erwünschte Kopfschmerztablette steht nicht auf der Karte, die vor den rettenden Liter Vittel einen Obolus von 14 Mark gesetzt hat.
Nein, ein teures Vergnügen ist „Pomp Duck and Cirumstance“ nicht. Wo sonst kann man sich heute noch für 185 DM das Gefühl kaufen, die liebgewonnene Überflußgesellschaft habe doch die Rezession überlebt? Wo, wenn nicht hier, sind jene Regeln des Genusses außer Kraft gesetzt, die zur Hochachtung der kulinarischen oder circensischen Meisterleistungen verpflichten? Der wahre Gourmet, er wäre zur Würdigung verpflichtet. Müßte angesichts der köstlichen Suppe beeindruckt verstummen, vor den Äquilibristen in stilles Staunen versinken. Der Gourmet genießt teuer, aber bescheiden. „Pomp Duck and Circumstance“ ist ein Musentempel für Kartoffelsalatfans: Die essen am liebsten alles durcheinander.
Bis 31. 3. 1995, Mo–Sa, 20 Uhr, im Spiegelpalast „Zazou“, Klingelhöferstraße, Tiergarten
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