: Grundgütig
Mark Sway und Reggie Love – John Grishams „Der Klient“, von Joel Schumacher genial verfilmt ■ Von Karl Wegmann
„Ich habe den besten Roman von Grisham abbekommen“, soll Regisseur Joel Schumacher gejubelt haben, als er den Job annahm, den vierten Roman des amerikanischen Bestsellerautors zu adaptieren. Wahrscheinlich war das Gejauchze nur ein PR-Gag, wenn nicht, war es eine krasse Fehleinschätzung. Um so erstaunlicher, daß Schumacher aus dem schwächsten Grisham-Buch die stärkste Grisham-Verfilmung gemacht hat.
Nachdem der schreibende Ex- Anwalt in „Die Firma“ einen smarten Yuppie verbraten hatte und in „Die Akte“ eine Jurastudentin über sich und das Justizministerium hinauswachsen ließ, hetzte er in „Der Klient“ einen toughen Elfjährigen durch seine kriminalistisch und juristisch geschulte Phantasie.
Die Geschichten wurden von Buch zu Buch immer seichter. Grisham selber weiß das. Sein Debüt „Die Jury“ („A Time To Kill“) hält er bis heute für seinen besten Roman, alle anderen seien „immer schlechter geraten“. Trotzdem standen sie alle, kaum abgeliefert, schon auf den vorderen Plätzen der internationalen Bestsellerlisten und damit natürlich auf Hollywoods Einkaufszettel.
Die Geschwindigkeit mit der „Der Klient“ filmtechnisch versilbert wurde, ist jedoch selbst für gierige Studiomanager beeindruckend. Produzent Arnon Milchan hatte bereits lange vor Veröffentlichung des Buches die Druckfahnen von „Der Klient“ gelesen und an Regisseur Joel Schumacher, der gerade die Milchan-Produktion „Falling Down“ inszeniert hatte, weitergegeben und gefragt, ob er interessiert sei. Schumacher griff sofort zu.
So wurde bereits anderthalb Monate bevor „Der Klient“ in die amerikanischen Buchläden kam, an dem Film gearbeitet.
Die Geschichte beginnt mit den Vorbereitungen zu einem Selbstmord. Doch bevor der Mafia-Anwalt über den Jordan geht, erzählt er dem kleinen Mark Sway noch schnell, wo die Leiche des Senators Boyd Boyette, den einer seiner Kunden gemeuchelt hat, verbuddelt ist.
Danach läuft die bekannte Alle- gegen-einen-Dramaturgie des Autors ab. Alle sind hinter Mark her: Die Staatsanwaltschaft braucht dringendst die Senatorenleiche, um den Killer Barry, liebevoll „das Messer“ genannt, endlich aburteilen zu können; der karrieregeile Bundesanwalt will den toten Senator, um endlich selber einer zu werden; die Mobster würden Mark gerne den ungewaschenen Hals umdrehen, und das FBI will den ausgeschlafenen Bengel unbedingt beschützen. Der aber kennt das organisierte Verbrechen, weil er sämtliche Gangsterfilme im Fernsehen gesehen hat, weiß also, daß er eigentlich keine Chance hat. Die nutzt er, hält die Klappe und engagiert eine grundgütige Anwältin. Reggie Love ist mächtig auf Draht und hat schon alles durchgemacht, was eine einsame 50jährige Frau eben so durchmachen muß. So kämpfen sie bis zum unvermeidlichen Happy-End gemeinsam gegen den Rest einer zwielichtigen Welt.
Charaktere dem Tempo opfern
John Grisham ist die Zeichnung seiner Protagonisten schnurzpiepe. „Für das Tempo muß man die Charaktere der Figuren opfern“, sagt er, „es ist die Handlung, die den Thriller vorantreibt, es sind nicht die Figuren.“ In seinen Büchern funktioniert das, sie wurden durch diesen Trick pageturner. Doch im Film sieht man den Helden, und wenn der nichts zu sagen und nichts zu spielen hat, sondern immer nur fliehen muß, wird's schnell fad. Sidney Pollack hat mit „Die Firma“ und Alan J. Pakula mit „Die Akte“ die Grisham-Dramaturgie übernommen. Nicht leichtfertig, sondern in guter alter Hollywoodtradition. Seit eh und je werden flache Storys mit dem Gesicht eines Stars aufgepeppt. Pollack bekam Tom Cruise aufs Kameraauge gedrückt, und Pakula durfte Julia Roberts' Comeback in Szene setzen. Die Hauptrollen aber übernahmen Verfolgungsjagden (zu Lande, zu Wasser und in der Luft) und Explosionen von Autos, Wohnungen, Booten und so weiter. Beide Filme wurden Thriller-Dutzendware, nicht halb so spannend wie die Romanvorlagen.
Led Zeppelin ist die Antwort
Daß es auch anders geht, hat schon Anfang der 70er Jahre Francis Ford Coppola bewiesen, als er aus Mario Puzos eher mittelprächtigen Gangsterkrimi „Der Pate“ einen grandiosen Film machte. Auch Joel Schumacher, unterstützt von seinen Drehbuchautoren, der ehemaligen psychologischen Beraterin Akiva Goldsman und Robert Getchell („Alice lebt hier nicht mehr“), schaut tiefer in die Personen hinein. Er konzentriert sich in erster Linie auf die Beziehung zwischen Mark Sway (Brad Renfro) und der Anwältin Reggie Love (Susan Sarandon), diese Verbindung ist das Herz der Geschichte, der Thrill, durchaus vorhanden, eher Nebensache.
„Am Anfang wußte ich nicht, ob ich auf ,roll‘ oder auf ,action‘ spielen mußte“, erzählt Susan Sarandon. Schumacher zeigte ihr einen Mittelweg. Er inszenierte die Beziehung der beiden wie eine Liebesgeschichte, in der Hindernisse überwunden werden müssen. Beide müssen das Vertrauen des anderen erst gewinnen. Am Anfang können sie sich nicht leiden und wollen sich nicht näherkommen. Mark hat die bekannten Probleme und traut sowieso keinem. Reggie Love begann nach ihrer Scheidung zu trinken, war einige Jahre Alkoholikerin und verlor darüber das Sorgerecht für ihre Kinder. Als sie Mark davon zu überzeugen versucht, vor Gericht die Wahrheit zu sagen, kontert dieser: „Du selbst hast die Wahrheit gesagt, und trotzdem haben sie dir deine Kinder weggenommen.“ Der Elfjährige beginnt erstmals, Vertrauen zu der „Erwachsenen“ zu fassen, als er ihr eine Frage über seine Lieblingsband Led Zeppelin stellt und Reggie diese präzise beantworten kann. Dieses Aufeinanderzubewegen zweier verletzter Menschen unterschiedlicher Generationen macht die Stärke des Films aus.
Mit Brad Renfro, er wurde nach einer landesweiten Suche unter 5.000 Jungen ausgewählt, der eindrucksvollen Susan Sarandon und dem schön unterkühlt agierenden Tommy Lee Jones als ehrgeizigen Bundesstaatsanwalt hat Joel Schumacher aus einem lahmen Märchen einen spannenden, einen menschlichen Thriller gemacht, dessen leise Zwischentöne nicht permanent von quietschenden Reifen und detonierenden Sprengkörpern übertönt werden. Grisham kann mehr als zufrieden sein.
„Der Klient“. Regie: Joel Schumacher, mit Susan Sarandon, Brad Renfro, Tommy Lee Jones u.a., USA 1994, 120 Min.
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