: Wer nicht spurt, wird abgestraft
Kanzlerkandidat Rudolf Scharping auf der Suche nach braven Journalisten / Die SPD-Wahlkampfzentrale ist in der „Mitleid-Crisis“ ■ Aus Berlin Michaela Schießl
Der Feind, das weiß der Kandidat, lauert überall, und er hat Blöckchen in der Hand. Da bleibt nur der Angriff: „Wer sind Sie überhaupt? Dies ist mein drittes Bier heute“, schnauzte Rudolf Scharping den neben ihm stehenden Journalisten an. Der Verdutzte stellte den SPD-Chef zur Rede. „Das war ein Mißverständnis“, erklärte Scharping. „Mein Bodyguard, ein Kripobeamter, hatte den Eindruck, daß Sie die Biere mitzählen, um mich als Alkoholiker hinzustellen.“
Kein Zweifel, der Kandidat fürchtet die Attentate der Presse, die einfach nicht mittun will im gerechten Kampf gegen Kohl. Statt sich auf die Suche nach den inneren, versteckten Werten des nüchternen Bewerbers zu machen, beschreiben sie seine Äußerlichkeiten: seinen Gang, seine Körperhaltung, seine Sprache. Sträflich oberflächlich sei das, findet Scharping. Und doch ist es nur das, was auch der Wähler sieht.
So bleibt dem Kandidaten nichts, als vom Kanzler zu lernen: unliebsame Journalisten abwimmeln. Doch Scharping verfügt nicht über Kohls Medien-Propagandamaschine. Für ihn gerät keiner derart in Ekstase, wie dies Sat.1-Stichwortgeber Mertes tut, wenn er zusammen mit dem Kanzler zur Sache kommen darf. Auch seine Drohgebärden taugen nur zur Abstrafung, gefügig machen sie nicht. „Das wäre nicht das erste Interview, das ich nicht genehmige“, drohte Scharping zum Abschluß einer einstündigen Verbal- Rangelei mit dem taz-Reporter. Und tatsächlich: Wenige Tage später befand der Kandidat seine Antworten selbst als undruckbar.
Zuvor war der Spiegel an Scharpings Beschönigungsversuchen gescheitert. Der SPD-Chef veränderte nicht nur seine Antworten, sondern entschärfte auch die Fragen. Das Produkt landete im Papierkorb. Klarer Fall, spottet Friedrich Küppersbusch. „Die SPD befindet sich in der Mitleid- Crisis.“ Tatsächlich reagiert die Partei befremdet, weil die linken und liberalen Medien nicht ganz automatisch pro Scharping schreiben, wo die Chance doch endlich da ist, den Dicken loszuwerden. „Irgendwann mag man nicht mehr hören, daß man unbedingt SPDler einladen müsse, aber, um Gottes willen, keine Fragen zu Stasi und Stolpe und zum Schattenkabinett“, klagt Küppersbusch. Genervt ließ er Scharping voll ins Messer laufen – und erntete prompt eine Anfrage von Sachsen-Anhalts Minister Reinhard Höppner. „Ich bin doch nicht das Domina-Studio der SPD“, stöhnt der bissige Moderator.
Doch wenigstens intern spuren Scharpings Sozis. Im Dezember 1993 noch bestellte die SPD- Zeitschrift Vorwärts von Politikprofessor Joachim Raschke einen kritischen Beitrag zur „Präsidialpartei SPD“, in dem Raschke Scharpings Sanktions- und Disziplinierungspotential, seinen Kommunikatons- und Herrschaftsstil benannte und analysierte, daß seine Wahl zum Kanzlerkandidat nicht dem Mehrheitswillen der SPD entsprach. Irgendwann im Frühling wurde Bundesgeschäftsführer Günter Verheugens Meinung geändert. „Aus aktuellen Gründen“ flog der Artikel des Wissenschaftlers raus.
Seither kontrolliert offenbar der SPD-Intellektuelle Peter Glotz, der sich oft und gern und zu Recht über das konservative Medienkartell im Lande erregt, die Umtriebe an den Universitäten. Der Dozent an der Uni München zitiert dann schon mal Studenten ins Hotel Vierjahreszeiten. Dort dürfen sie dann zwei Stunden im Foyer warten, bevor sie sich ihre Rüge abholen können – über ihr böses SPD- Kapitel in der Diplomarbeit.
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