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Kein Amalgam für Gebärfähige?

■ Tag der Zahngesundheit: Zahnärztekammer verteidigt Amalgam und setzt auf Fluorid-Prophylaxe

Eine Lanze fürs Amalgam brachen am Donnerstag Vertreter der Zahnärtzekammer Bremen. Diesen Sonntag begehen wir den „Tag der Zahngesundheit“. Eine (das liegt am Thema) lebhafte Pressekonferenz nutzten die Bremer Zahnarztvertreter, öffentlich und vehement gegen Überlegungen aus dem „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten“ (Nachfolgeorganisation des Bundesgesundheitsamtes) vorzugehen. Der mutmaßliche Plan des Bundesinstituts: Der Einsatz von Amalgam soll nicht nur bei Schwangeren verboten werden, sondern auch bei „Frauen im gebärfähigen Alter“ einer strengen Indikation unterliegen.

Amalgam, lobte Peter Boehme, Präsident der Bremer Kammer und stellvertretender Vorsitzender der Bundeszahnärztekammer, sei billig, halte lange, und alle Versuche, Schäden durch Amalgam nachzuweisen, seien gescheitert. Jedes Wehwehchen werde heute mit Amalgam erklärt, „Amalgam-Schutzverbände“ verteilten Fragebögen mit 140 möglichen Krankheiten – zum Ankreuzen. Die anwesenden Ärzte stellten sich selbst als bestes Beispiel für die Unschädlichkeit dar: Zahnärzte und ihr Personal seien am stärksten dem Quecksilberexponiert.

Das Thema „Amalgam“ auf die Tagesordnung zu setzen, war eine eigenwillige Aktion der Bremer Standesvertreter. Der Tag der Zahngesundheit, dieses Jahr zum vierten Mal begangen, ist eigentlich eine Erfindung der Industrie und steht diesmal unter dem Motto: „Behinderte und Risikogruppen“. Das Kariesrisiko ist nämlich keineswegs gerecht verteilt. In Bremen sind 8- bis 9-jährige am besten untersucht, und bei denen verteilen sich 80% der Kariesfälle auf ein Fünftel der Kinder. Diese wohnen hauptsächlich in sozial schlechter gestellten Gebieten. Armut macht zahnkrank, könnte man leicht verkürzt sagen. Das liegt an mangelnder Zahnpflege und am Süßkram. Außerdem, führte Boehme aus, sei Bremen im Vergleich zu anderen Bundesländern von einer „flächendeckenden Prävention bei Schulkindern weit entfernt“. „Das öffentliche Gesundheitssystem schafft es nicht,“ meinte er; die Zahl der Schulzahnärzte habe sich in den letzten 30 Jahren um 90% reduziert. Die Weltgesundheitsorganisation hat für das Jahr 2000 ein Ziel formuliert: drei Zähne dürfen dann bei 12-jährigen nur noch defekt sein. Heute sind es in Deutschland 4,1 Zähne. Und zwar die „Bleibenden“, die eben erst zwei Jahre alt sind.

Obwohl für die Ökonomie des kleinen Betriebs „Zahnarztpraxis“ ein gewisses Problem: Die Zahnärztekammer setzt auf Prävention. Die Ausgaben dafür sind vom Bundesminister „gedeckelt“, d.h. werden nur begrenzt von der Kasse bezahlt. Zur Prävention gehöre der „Speicheltest“, der dieser Tage von einem findigen Hersteller manchen Zahnärzten kostenlos zur Verfügung gestellt wird, aber auch und besonders Fluorid. Dieses ebenfalls umstrittene, zahnschmelzhärtende Salz wird derzeit gern Sechsjährigen auf die Zähne gepinselt, der Zahnpasta und dem Speisesalz zugesetzt und als Gelee für den wöchentlichen Gebrauch verabreicht. Hören wir zum Risiko Detlev Frieg, Vorstandsmitglied der Kammer, Zahnarzt und Vater: „Meine vierjährige Tochter hat neulich 30 Fluoridtabletten gleichzeitig geschluckt - es hat ihr nicht geschadet.“

Prävention fängt bei der Mutter an. Zwar gebe es Vererbung von hartem Zahnschmelz, aber entscheidender sei: Karies übertrage sich schon beim Küssen des Babies oder dem Breiabschmecken. Die Zahnärzte fordern die kariesfreie Mutter. Dem sorgenden zahnärztlichen Blick entkommen derzeit in Bremen besonders die Kindergartenkinder. Für die und die kleinen Schulkinder (in Bremerhaven) hat sich die Kammer zum Zahngesundheitstag etwas Besonderes ausgedacht: einen „Kreativ-Wettbewerb“. Malen zum Thema „das gesunde Frühstück“ - das soll die Kinder zahnbewußt machen. Einsendeschluß: Mitte Dezember. Ziel: das „naturgesunde Kindergebiß“.

BuS

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