Bis zur Plaste

■ „Spurensuche“: Friedrich Adler im Museum für Kunst und Gewerbe

Friedrich Adler wurde 1942 von Hamburg nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Wer war dieser Künstler, der sich so sehr Hamburg verbunden fühlte, daß er noch 1936 – trotz Berufsverbotes und Verfolgung – von Zypern, dem Zufluchtsort seiner Frau, nach Deutschland zurückkehrte? Sein Ruhm als einer der bedeutendsten Entwerfer des deutschen Jugendstils und des Art Deco, als Professor an der Landeskunstschule für fast drei Jahrzehnte, oder seine Wirkung als Privatlehrer nach 1933 auf zahlreiche internationale Schüler, nichts vermochte ihn vor der Ermordung zu bewahren.

Danach war selbst die Erinnerung an ihn so verblaßt, daß jetzt die große Retrospektive mit dem Übertitel Spurensuche auf die Mühe hinweist, die es kostete, Leben und Werk wieder aufzufinden. Trotz Verlustes großer Teile des Nachlasses und fast des ganzen Entwurfswerks konnten für die Ausstellung 300 Objekte zusammengetragen werden. Die in München zusammengestellte Wanderausstellung ist jetzt nach Nürnberg und Leipzig verändert und ergänzt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen – und damit direkt am Ort des Wirkens von Friedrich Adler. Denn das Gebäude des Museums war bis zur Eröffnung der Landeskunstschule am Lerchenfeld 1913 auch die Hamburger Kunstgewerbeschule und hier unterrichtete er seit April 1907.

Friedrich Adler, 1878 im würtembergischen Laupheim geboren, war zum Zeitpunkt seiner Berufung von München nach Hamburg bereits ein international bekannter Entwerfer für Metallgerät, Möbel, Lampen, Textil, Glas und Schmuck. Nach den noch im Umfeld des Historismus stehenden Nürnberger Prunkkelchen und für die Serienproduktion entworfenen Jugendstilleuchtern, nach Art-Deco-Stoffen aus der Hamburger Firma ATEHA (= Adler Textil Hamburg) überrascht besonders die erst kurz vor der Ausstellung gemachte Entdeckung von Kunststoff-Design. Im Laufe des Lebens vom individuellen Einzelkünstler der Jahrhundertwende zum anonymen Industriedesigner für über sechzig Firmen geworden, experimentiert Friedrich Adler in den 30er Jahren mit dem neuen Werkstoff, den entgegen aller Forderungen nach Materialökonomie nicht einmal das Bauhaus beachtet hatte. Trotz Berufsverbot entwirft er für die noch heute existente Firma BEBRIT in Bebra an die 50 verschiedene Objekte vom Salatbesteck zur Picknickdose. Unzerbrechlich und leuchtend bunt werden einige seiner Entwürfe 1936 anonym als formschönes Industrieprodukt mit einer Goldmedallie ausgezeichnet.

Zu weiterer Spurensuche ruft die Vortragsreihe über „Vergessene Hamburger Künstler der 20er und 30er Jahre“ auf und mit drei Zusatzausstellungen umkreist das Museum das Umfeld von Friedrich Adler: so wird aus der von Adler-Schülern 1911 gegründeten Hardbrand-Manufaktur Gerstenkorn und Meimersdorf, die viel von der Bauplastik des Chilehauses erstellte, wiederentdecktes Steinzeug gezeigt, und die Hamburger Künstlerfeste der zwanziger Jahre werden dokumentiert.

Die damals weitberühmten und skandaleusen, aufwendig dekorierten Themen-Feste gingen auf eine erstmalige Übertragung des Münchner Faschings auf Hamburger Künstlerkreise durch Friedrich Adler im Februar 1914 zurück. Ihre spektakuläre Geschichte ist in einer Sonderbroschüre mit neuen Forschungsergebnissen publiziert.

In einigen Vitrinen geht es auch um die Geschichte des jüdischen Kulturbunds in Hamburg mit seinem Veranstaltungshaus in der Hartungstrasse, den heutigen Kammerspielen, in denen Adler mit Ausstellung und Fest (“nur für Juden!“) im April 1938 seinen sechzigsten Geburtstag feierte.

Hajo Schiff

Museum für Kunst und Gewerbe, bis 6. November. 1. Vortrag der Reihe „Spurensuche“: Wolfgang Voigt über „Felix Ascher und Robert Friedmann – die Architekten des israelitischen Tempels in der Oberstrasse“, morgen, 19.30 Uhr, Spiegelsaal des Museums