piwik no script img

Wo Kirche irrte und wirrte

■ „Bremische Kirchengeschichte“ – ein spannendes Buch mit Lücken

Charlotte Schultz war 40, als sie endlich Vikarin werden durfte. Zuvor hatte sie jahrelang in der Krankenhausseelsorge gedient, einem der wenigen Berufsfelder für examinierte Theologinnen. Am 18. Mai 1947 meldete die Presse kurz, daß „Fräulein Vikarin Schultz“ sich jetzt nicht mehr nur um die Jugendarbeit kümmere, sondern daß ihr auch die Verbreitung des Wortes von der Kanzel gestattet sei. Für die erste Trauung 1949 benötigte sie dennoch eine Sondergenehmigung – schließlich war das die bundesweit erste Trauung durch eine Frau. Entsprechend besorgt fragten die Gemeindemitglieder an, ob die Eheschließung dann überhaupt gelte. Sie galt. Dennoch erhielt Charlotte Schultz nur 80 Prozent des Gehalts ihrer Kollegen. Sie bekam keine Dienstwohnung, Heiraten verboten.

Die mühsame Karriere der ersten Bremer Pastorin findet sich in dem neuen Buch „Bremische Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert“. Zwar kommt der Band optisch recht trocken daher mit dem Kruzifix von Ernst Barlach auf dem Titel und den Fotos von Kirchen und Klerikern, doch die Texte sind spannend – auch für Leute, die beim Stichwort „Kirchengeschichte“ abwinken möchten. Häufig verbinden die AutorInnen Kirchengeschichte mit der politischen Geschichte, vor allem verschmähen sie keine lebensnahen Details. 1834 etwa, als die Pastoren sich zunehmend für Sozialarbeit interessierten, wurde in Bremen ein „Jünglingsverein“ gegründet mit „Zufluchtsstätte für junge Leute vor dem Verderben des Wirtshauslebens“. Anfangs mußte die Polizei eine johlende Menge vom Haus abhalten.

Bremer Kirchenfrauen hatten darauf gedrungen, daß der Anteil der Frauen an der Kirchengeschichte nicht zu kurz kommt. Diesem Anspruch wird Almuth Meyer-Zollitsch gerecht, die über den Zeitraum 1918 bis 1953 schreibt. Sie berichtet zum Beispiel, daß in der Bekennenden Kirche, die sich gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung wehrte, besonders viele Frauen aktiv waren. So hatte die Studienrätin Magdalene Thimme beim Treueeid auf den Führer Gewissensvorbehalte. Sie wurde pensioniert.

Einmütig hatte die evangelische Kirche Hitlers Regierungsübernahme begrüßt – schließlich versprach er, den atheistischen Marxismus zu bekämpfen. Ohnehin waren 80 Prozent der evangelischen Pastoren gegen die Weimarer Demokratie eingestellt. Am 4. Juni 1934 aber gründeten mehrere Pastoren die Bekenntnisgemeinschaft. Sie wollten statt des Führerprinzips ihre Gemeindeautonomie zurück. Vor allem dürfe sich die Kirche nicht an wechselnden politischen Überzeugungen ausrichten. Unhinterfragt aber ließ diese unpolitische Opposition die nationale Grundhaltung. Auch der traditionelle Antisemitismus lebte weiter. Kein bremischer Pastor fand im Gottesdienst tröstende Worte für die Opfer des Novemberpogroms.

Eine Ausnahme war die Bekenntnisgemeinde Stephani-Süd: Sie kümmerte sich auch um „nichtarische“ Gemeindeglieder. Als am 24. Oktober 1941 die Mehrzahl der jüdischen BürgerInnen Bremens deportiert werden sollte, sammelte die Gemeinde warme Kleidung und Decken für die betroffenen Familien. Nach einem Abschiedsgottesdienst begleiteten einige Frauen die SternträgerInnen nach Hause. Verhaftungen waren die Folge.

Erst Jahre nach dem Krieg hat die Bekennende Kirche den Weg gefunden vom Grundsatz „Kirche muß Kirche bleiben“ zur „Kirche für andere“, vom Obrigkeitsgehorsam zum „Wächteramt“ gegenüber dem Staat. Sie wurde damit innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) zur Schrittmacherin für einen sozial verantwortlichen, politisch aufgeschlossenen Protestantismus. 1977 zum Beispiel protestierte die Stephani-Gemeinde gegen die Neutronenbombe. Daraus entstand die „Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden“.

Zwar widmet das Buch auch der Katholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche je ein Kapitel, keines aber anderen Freikirchen und der jüdischen Gemeinde. Etwas lax begründet Herausgeber Andreas Röpcke: Man habe nur bis 1953 gehen wollen (Beitritt der Bremer zur EKD), und damals sei eben nur die Methodistische Kirche als freie Kirche anerkannt gewesen. Den jüdischen Gemeinden gebühre ohnehin ein eigenes Buch. cis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen