Zur Dankbarkeit erpreßt

Die Geschichte des jüdischen Arztes Benno Heller / Ein Neuköllner Hausbesitzer weigert sich, eine Gedenktafel für ihn anbringen zu lassen  ■ Von Anita Kugler

Mit Gedenktafeln hat Neukölln kein Glück, unglücklicherweise besonders dann, wenn es um die nachträgliche Ehrung von jüdischen Bürgern geht. Vor anderthalb Jahren scheiterte eine Tafel für Heinrich Stahl am authentischen Ort, weil dies den Hausbesitzer in Rudow störte. Er fürchtete antisemitische Schmierereien und beschloß in einem philosemitischen Anfall, den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde vor solcher Schändung zu bewahren. Jetzt wiederholt sich die Geschichte.

Die Haus- und Grundstücksverwaltung Herbert Hamel weigert sich im Namen der Besitzer – und dies sind die Söhne Gerd und Hans-Joachim Hamel –, am Haus in der Sonnenallee 13 eine Gedenktafel für den Arzt Benno Heller und seine Frau und Mitarbeiterin Irmgard Heller geb. Strecker anbringen zu lassen. Eine Begründung will er dem Bezirk Neukölln nicht geben, braucht er auch nicht, schließlich ist Privatbesitz heilig. Der Bezirk fühlt sich jetzt düpiert, schließlich hatte die Bezirksverordnetenversammlung schon im Dezember 1993 einstimmig – sogar mit den Stimmen der Reps – beschlossen, diesen Mann und seine Frau mit einer Gedenktafel zu würdigen. Die Tafel hätte am 29. September montiert werden sollen, an diesem Tag jährt sich der 100. Geburtstag des Arztes. Benno Heller wurde aber nur 51 Jahre alt, sein genaues Todesdatum steht nicht fest.

Der Historiker Raymond Wolff, Mitarbeiter beim Kunstamt Neukölln, fand nach jahrelangen Recherchen heraus, daß er kurz nach der „Fabrikaktion“ im Februar 1943 nach Auschwitz deportiert wurde und dort im sogenannten „Zigeunerlager“ Auschwitz- Birkenau arbeiten mußte. Nach der Ermordung der Zigeuner im Juli 1944 wurde er nach Sachsenhausen verlagert und ist vermutlich Ende Februar auf dem „Todesmarsch“ nach Ravensbrück umgekommen. Irmgard Heller überlebte den Schock der Deportation ihres Mannes nicht, sie starb im September 1943 in Leipzig. Sie war keine Jüdin, sondern stammte aus einem evangelischen, sehr bourgeoisen Haus.

Das Ehepaar Heller half Frauen bei Abtreibungen

Aber das Lagerschicksal und der Tod hoben Benno Heller und indirekt auch seine Frau nicht aus der Masse der 55.000 ermordeten Berliner Juden empor. Es war die ärztliche Tätigkeit und die sich aus dieser Tätigkeit ergebende Widerstandsarbeit. Benno Heller war Gynäkologe in Neukölln, seine Praxis und die Wohnräume befanden sich im zweiten Stock der Sonnenallee 13, damals Braunauer Straße. Neukölln war ein Proletarierbezirk und Benno Heller und seine Frau erst glühende Kommunisten, dann – so beschreibt es eine Zeitzeugin – „so links, wie man gar nicht linker sein konnte“. In die Praxis kamen verzweifelte Frauen, baten um Abtreibungen, und das Ehepaar Heller half ihnen. Sowohl in der Weimarer Republik als auch in den nationalsozialistischen Vorkriegsjahren war das streng verboten. Das Ehepaar Heller half auch den Frauen, die kein Geld für diesen Eingriff hatten, und sie taten es bis in die Kriegsjahre, obwohl die Frauen keine jüdischen waren und er selbst schon lange Berufsverbot hatte.

Als die Juden ab September 1941 den gelben Stern tragen und wenig später sich bei den Deportationssammelstellen einfinden mußten, rebellierten die Hellers. Sie ahnten, daß die Reisen in den Tod gehen würden, und handelten mit ihren Möglichkeiten. Benno Heller selber blieb durch seine „Mischehe“ vorerst geschützt. Sie überredeten ihre jüdischen Patientinnen, sich nicht zu melden, sondern mit ihrer Hilfe unterzutauchen. In einem von Raymond Wolff aufgeschriebenen Bericht einer Zeitzeugin heißt es: „Er hat alle alten Patientenkarteien ... mit seiner Frau durchgesehen, und das ging etwa so; ,Ach, das war doch die Müller, ein ganz armes Luder. Der habe ich doch damals eine Abtreibung umsonst gemacht. Da gehe ich jetzt hin.‘ Und dann ging er hin, hielt seine Propagandarede... Wobei er ganz klar die Dankbarkeitsverpflichtung ihm gegenüber betont hat... Sie müßten ihm einen Gefallen tun, sie sollten jemanden aufnehmen.“

Viele Menschen gerettet

Diese „Erpressungen zu Dankbarkeit“ (Wolff), funktionierten bis Anfang 1943. Viele Menschen haben die Hellers auf diese Weise gerettet, einige von ihnen leben noch in den USA. Keine der erpreßten Patientinnen denunzierte die beiden, obwohl das so einfach gewesen wäre. Jüdischer Arzt treibt arische Babys ab, das wäre ein Stoff für den Stürmer gewesen. Denuniziert wurde Benno Heller (und nur er und nicht auch seine Frau) ausgerechnet von einer Jüdin, der er ein provisorisches Quartier besorgt hatte. Sie zeigte ihn bei der Gestapo an, wahrscheinlich – wie Wolff meint –, weil die Hellers es versäumt hatten, ihr auch ein Anschlußversteck zu besorgen. Den Namen der Quartiergeberin verriet sie hingegen nicht. Am 23. Februar 1943 holte die Gestapo Benno Heller mit einem Haftbefehl aus der Sonnenallee 13 ab.

Auf der Gedenktafel, die jetzt nicht angebracht werden kann, steht diese Geschichte nicht zu lesen. Vorbereitet war eine entschärfte Fassung, koscher auch für militante Abtreibungsgegner, aber zu treifje für Hausbesitzer. „Dieses Ehepaar leistete Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime“, sollte auf der Tafel stehen. „Ihre politische Gesinnung und Menschlichkeit erlaubten ihnen nicht, der Vertreibung und Vernichtung zuzusehen. Sie versuchten alles, das Leben jüdischer Menschen zu bewahren. Sich selbst konnten sie nicht retten.“

Damit der 100. Geburtstag von Benno Heller doch gefeiert werden kann, lädt das Bezirksamt Neukölln für den 29. September um 19 Uhr ins Heimatmuseum in der Ganghofer Straße 3 ein. Raymond Wolff und Helmut Becker, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Berlin, werden über das Wirken dieses ungewöhnlichen Ehepaars berichten. Um 18 Uhr findet vor dem Haus Sonnenallee 13 eine Erinnerungsfeier statt, initiiert vom Aktiven Museum Faschismus und Widerstand.