: Eine ziemlich verzwickte Konstellation
■ Sowohl Aristide als auch Jonassaint berufen das haitianische Parlament ein
„Um persönlich zum Erfolg dieser Übereinkunft beizutragen, sind gewisse Offiziere der Armee bereit, einem vorzeitigen ehrenhaften Rücktritt zuzustimmen, sobald das haitianische Parlament eine Generalamnestie verabschiedet hat oder am 15. Oktober.“ So lautet ein Kernsatz des Abkommens, das Jimmy Carter vor einer Woche in Port-au-Prince ausgehandelt hat, um die Invasion in eine „friedliche Landung“ umzuwandeln.
Das Ziel einer Militärintervention, so hatte schon der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 940 festgestellt, müsse es sein, die Militärführung des Karibikstaates außer Landes zu schaffen. Und schon im Agreement von Governors' Island vom Juli des vergangenen Jahres, das dann von der haitianischen Armeeführung einseitig gebrochen wurde, war die Abreise der Putschisten vereinbart.
Um den Rücktritt der obersten Militärmachthaber zu beschleunigen, will nun Jean-Bertrand Aristide, Präsident im Exil, für heute das Parlament zusammenrufen. Und auch Emile Jonassaint, Haitis de-facto-Präsident, will das Parlament versammeln, etwas später und vor allem ein anderes.
Wie konnte es zu dieser verzwickten Konstellation kommen? Nach der Verfassung von 1987 besteht das Parlament aus zwei Kammern, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat. Von den 81 im Dezember 1990 und im Januar 1991 regulär gewählten Abgeordneten halten sich etwa dreißig im US-Exil auf, etwa ein Dutzend ist in Haiti untergetaucht, so daß es seit dem Putsch praktisch nie beschlußfähig war. Die USA werden nun wohl die exilierten Parlamentarier nach Port-au-Prince einfliegen. Ob sich im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit für die im Carter-Abkommen geforderte Amnestie findet, ist unklar.
Schwieriger gestalten sich die Verhältnisse im Senat. Von seinen 27 Mitgliedern wurden acht im Januar 1993, unter der Militärdiktatur, ohne Beteiligung des Aristide- Lagers in einem international nicht anerkannten Urnengang gewählt. Von den 19 demokratisch gewählten Senatoren boykottieren 14 das Parlament, die übrigen fünf haben sich mit den acht irregulär gewählten Senatoren zusammengetan. So gibt es nun also einen Untergrundsenat, der für Aristide ist, und einen demokratisch nicht legitimierten, der gegen ihn ist.
Nun könnte man annehmen, daß die demokratisch gewählten Senatoren über eine Amnestie zu entscheiden haben. Doch wurde das eingangs erwähnte Abkommen mit Jonassaint abgeschlossen, und der ist von seinem, dem illegitimen Senat vereidigt worden. Das Ergebnis der Amnestieabstimmung wird davon abhängen, welchem Senat sie vorgelegt wird.
Am 15. Oktober müssen die „gewissen Offiziere“ gemäß dem Pakt, den Carter mit dem weltweit von keinem einzigen Staat anerkannten Jonassaint geschlossen hat, ohnehin zurücktreten. Beim Namen werden sie allerdings nicht genannt. Die Erfahrung von Governors' Island lehrt, daß Cédras, Biamby und François möglicherweise nicht einsehen, daß von ihnen die Rede ist. Thomas Schmid
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