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50 Plätze hinter Gittern für den Nachwuchs

■ Für unter Dreijährige ist Leben im Gefängnis weniger schlimm als die Trennung von der Mutter

Die Idee, Frauen gemeinsam mit ihren Kindern in Haft zu nehmen, stammt aus den sechziger Jahren. Bereits 1966 wurde in einem Frankfurter Frauengefängnis ein Kinderheim eingericht. Inhaftierte Mütter konnten dort ihren Nachwuchs zumindest tagsüber sehen. Nachts mußten sie freilich in ihre verriegelten Zellen zurückkehren. 1975 entstand dort als bundesweit erster Modellversuch ein Mutter-Kind-Knast.

Junge Mütter werden vor Gericht nur selten zu Haftstrafen verurteilt. Dennoch haben über die Hälfte der 1600 Frauen, die in der Bundesrepublik jährlich ins Gefängnis müssen, minderjährige Kinder. Die Frauen stehen bei Haftantritt vor einem gravierenden Problem: Wohin mit den Kindern? Der größte Teil der Jungen und Mädchen wird zu Verwandten, Pflegeeltern oder in ein Heim gebracht. Ist die Inhaftierte die wichtigste Bezugsperson, können die Kleinen auch im Mutter-Kind-Vollzug unterkommen. Auf diese Weise folgt der Verurteilung der Mutter nicht zwangsläufig die Trennungsstrafe für das Kind. Oft ist der Mütterknast, der sich wie eine Notlösung anhört, für die Kinder die am wenigsten einschneidende Veränderung. Die Entscheidung, ob die Kinder eine bittere Trennung hinnehmen oder mit ins Gefängnis müssen, liegt letztendlich bei den Jugendämtern und den Richtern.

Außer in Lübeck gibt es Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug auch in Berlin, Frankfurt/Main, Schwäbisch-Gmünd, im bayrischen Aibach und in Vechta. Insgesamt stehen rund 50 Plätze zur Verfügung. Nach einer Studie des Instituts der Sozialarbeit bleibt das Gefängnis in der Kinderwelt ohne Bedeutung, solange die jüngsten Insassen noch nicht drei Jahre alt sind. Je kleiner die bei den Inhaftierten lebenden Kinder sind und je offener die Vollzugsabteilung ist, desto geringer sind die Folgen der Zeit im Knast. Zudem gibt es hinter Gittern kaum Fälle von Kindesvernachlässigung, weil die soziale Kontrolle der Frauen untereinander zu stark ist. Die Betreuerinnen haben außerdem ein Auge darauf, daß die Kinder von den Müttern nicht als seelische Stütze mißbraucht und überfordert werden.

Der Knast wird von den Frauen teilweise als geschützter Raum erlebt. Für viele war der Alltag „draußen“ von Gewalt geprägt. Obwohl sie in der JVA einer Maßregelung unterliegen, die eine Idee vom selbstbestimmten Leben gar nicht erst aufkommen läßt, erleben sie den Vollzug teilweise als Erleichterung. Draußen lauern Gläubiger, Behördenmitarbeiter und gewalttätige Ex-Männer.

Verbote gibt es hinter Gittern genug: Alkohol und Drogen sind gleichermaßen tabu wie Medikamente. Verstöße werden beispielsweise in der JVA Lübeck mit Ausgangssperren geahndet. Das Geld wird - wie allgemein im Strafvollzug - von der Anstalt verwaltet. In Lübeck verfügen die Frauen monatlich über rund 120 Mark. Hinzukommt das Erziehungsgeld. Davon bezahlen die Mütter Kleidung und Nahrungsmittel für die Kinder sowie den eigenen täglichen Bedarf.

In einigen Anstalten können die Frauen sogar außerhalb der JVA einer Tätigkeit nachgehen. Ihre Kinder werden unterdessen im Gefängniskindergarten betreut.

Lisa Schöneman

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